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An Carl August Varnhagen von Ense

Zu einer Zeit, da ich im Begriff stehe, mir und anderen von meinem Leben und meinen Werken Rechenschaft zu geben, konnte ich wohl nichts erwünschter seyn als zu vernehmen, wie so bedeutende Personen als jene Correspondenten sind, aus deren Briefen Sie mir gefällig Auszüge mittheilen, über mich und meine Productionen denken. Diese beyden Wohlwollenden machen ein recht interessantes Paar, indem sie theils übereinstimmen, theils differiren. G. ist eine merkwürdige, auffassende, vereinende, nachhelfende, supplirende Natur, wogegen E. zu den sondernden, trennenden und urtheilenden gehört. Jene urtheilt eigentlich nicht, sie hat den Gegenstand und insofern sie ihn nicht besitzt, geht er sie nicht an. Dieser aber möchte Betrachen, Scheiden, Ordnen, der Sache und ihrem Werth erst bekommen, und sich von allem Rechenschaft geben. Merkwürdig ist es mir, daß zuletzt E. herangezogen wird, eine Wirkung welche diese letztere Natur nothwendig gegen denjenigen ausüben muß, der sie liebt und schätzt.

Doch was sage ich das Ihnen, der Sie die Personen, ihre Verhältnisse und den ganzen Briefwechsel kennen, dagegen ich mir hiervon nur ein unvollkommenes Bild aus den Bruchstücken zusammenbauen muß.

[207] So sehr ich übrigens von dem Wohlwollen dieser Personen und von der Theilnahme an mir gerührt bin; so wünschte ich doch, wo nicht die ganze Correspondenz, doch größere Auszüge daraus zu sehen, theils um mir ein deutlicheres Bild von den Individualitäten zu machen, und das allzu Schroffe dieser Fragmente hie und da mehr ans Leben geknüpft zu sehen, theils auch über Mitlebende und kürzlich Abgeschiedene ihre Gesinnungen zu vernehmen, wie mir die Stellen über Jean Paul, Heinse, Johannes Müller, sehr merkwürdig gewesen sind. Vielleicht können Sie in der Folge mir noch eins und das andere mittheilen.

Was den Druck betrifft, so lassen Sie mich darüber noch denken. Es sind so wenige Bogen, daß sie auf eine eigene Art gedruckt werden müßten wenn sie ein Heftchen machen sollten. Irgendwo in einer Sammlung stünden sie wohl am schicklichsten, aber freylich: in welcher? Doch das eben wäre zu bedenken. Ich bewahre das Manuscript sorgfältig, und wenn es nicht gedruckt würde, erhalten Sie es wieder. Vielleicht habe ich das Vergnügen Ihnen bey meinem nächstkommenden Aufenthalt in Carlsbad zu begegnen und für das mir geschenkte Vertrauen aufrichtig zu danken.

Mich Ihrem gewogenen Andenken bestens empfehlend

Weimar d. 10. Dez. 1811.

Goethe. [208]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1811. An Carl August Varnhagen von Ense. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-89F6-8