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An Marianne von Willemer

Das vorübergehende Jahr wollen wir wenigstens bey seiner Sylvesterschleppe fassen, um unsre theuersten Freunde noch eiligst zu begrüßen.

Herzlich leid war es mir zu erfahren, daß Sie einen Theil der letzten Monate in krankhaften Zuständen verbracht haben, denn gar zu gern denke ich [201] mir Sie in den Augenblicken, in welchen Sie immer gleich heiter, liebenswürdig und wohlthuend die Gegenwart ergriffen.

Wir in diesen Gegenden sind wie aus einem widerwärtigen Traum erwacht. Das asiatische Ungeheuer entfaltete immer mehr Hälfte, Köpfe und Rachen, je näher es heranrückte, man machte, was ich sehr billige, fürchterliche Anstalten dagegen, um die Furcht zu balanciren. Wir aber, auf der Allerweltslandstraße, wurden durch scheue, flüchtende, aufgeregte Durchreisende in der Apprehension eines Übels fort- und fortzuleben genöthigt, das endlich auf die bewundernswürdigste Weise sich im Norden dämpfte, und gleichsam erlosch. Jetzt, ohngeachtet alle Sperren aufgehoben sind, wir keine durchstochen Briefe und Paquete mehr erhalten, ruhig fortleben, auch bey uns nicht die mindeste Andeutung davon sich spüren ließ; jetzt, da alles leidlich ablief, triumphiren die Ärzte, welche es für nicht ansteckend erklärten, obgleich es durch Ansteckung verbreitet worden war. Wir wollen den freundlichen Wesen die in der Luft herrschen zutrauen, daß sie im Frühling die Wiederkehr des Ungeheuers abhalten, damit nicht der Spectakel, von vorn angeht und die größer ist als das Übel, dem doch nur ein Theil unterliegt.

Daß meine treusten Wünsche, meine wahrhafte Theilnahme Sie immer umgeben und gerühren, davon[202] sind Sie überzeugt, und so bin ich wirklich wegen unsres Trefflichen Willemers in einiger Sorge. Seiner thätigen Sinnes- und Handelsweise muß freylich die Hemmung später Tage höchst widerwärtig seyn. Ich will nicht läugnen daß ich es für ein Kunststück halte, als entbehrlich anzusehen was die Jahre uns nehmen, dagegen aber hoch und höher zu schätzen was sie uns lassen, am höchsten aber, wenn sie so artig sind uns mit neuer Gabe zu erfreuen, welche meistens von guten Menschen kaum bemerkt und selten dankbar aufgenommen wird.

Wenn Sie, meine Beste, wie im Sommer, so auch im Winter für meine Tafel und Haushaltung sorgen wollten, deren persönliche genaue Behandlung Sie komisch finden würden, wenn Sie mich dieses Geschäft nothwending consequent durchführen sähen: so vermelde ich nächstens einige Wünsche durch deren Erfüllung ich meinen Gästen wohl ein besonderes Lächeln abgewinnen möchte. Wollen Sie mir indeß freundliche Gesichter von meinen Enkeln erwecken, so erbitte mir, etwa im Februar, etwas Offenbacher Pfefernüsse; bis dahin werden die magenverderblichen Weichnachtsgaben wohl schon aufgespeis't seyn. Die Menschheit, merke ich, mag noch sehr zu ihrem höchsten Ziele vorschreiten, die Zuckerbäcker rucken immer nach; indem sich Geist und Herz immerfort reinigt, wird, wie ich fürchte, der Magen immer weiter seiner Verderbniß entgegengeführt.

[203] Damit dieses lange zaudernde Blatt endlich seinen Weg antrete

eiligst unwandelbar

Weimar den 13. Januar 1832.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A4E-9