42/26.

An Adolf Friedrich Carl Streckfuß

[Concept.]

[27. Januar 1827.]

Ew. Wohlgeboren

Sendung ist mir sehr angenehm gewesen. Ich bin überzeugt daß eine Weltliteratur sich bilde, daß alle Nationen dazu geneigt sind und deshalb freundliche Schritte thun. Der Deutsche kann soll und hier am meisten wirken, er wird eine schöne Rolle bey diesem großen Zusammentreten zu spielen haben.

Der englischen Springflut brauchen wir nicht nachzuhelfen, was aus dieser Überschwemmung wird müssen wir abwarten. Die Franzosen und Italiäner hingegen sind leise wo möglich heranzuführen, deren Werke, selbst verdienstlich, dem deutschen Gaumen und Sinn nicht gerade zusagen.

Nehmen Sie also den besten Dank für die Bearbeitung des Adelchi's; ich weiß recht gut daß man besonders diesen Dichter lieben muß wenn wir uns mit seinen Werken völlig vereinen sollen. Leider ist es mir unmöglich, in der jetzigen Zeit mich auf diesen Punct zu concentriren und demjenigen was ich in Kunst Alterthum gesagt die gehörige Fülle und Abrundung zu verleihen. Daher nur einiges in Bezug auf Ihre Arbeit.

In den Chören thun Sie sehr wohl sich nicht ängstlich an das Originalsylbenmaß zu halten; alles [28] kommt an auf Hauptsinn, Wortstellung und Ton, diese dürfen wir nicht aus Augen und Ohr verlieren.

Ganz richtig wird bemerkt daß der Vortrag ganz wie ein Recitativ klingt, besonders ist zu beachten daß die Hauptworte immer zu Anfang der Zeile stehen, wodurch ein unaufhaltsames Enjambiren bewirkt wird, jener Declamationsart günstig. Sie haben es oft beybehalten, aber wohlgethan auch hierauf nicht zu bestehen; unser deutsches Ohr und Wesen ist nicht dazu gemacht. Ich will die Art nicht anpreisen, aber hätt ich noch für's Theater zu arbeiten, so würde ich bedeutende Stellen auf diese Weise behandeln. Zur Übung hatte ich den Monolog von Swarto sorgfältig übersetzt und da sich besonders diese Stelle zum Recitativ eignet, solche Zeltern mit Bitte sie mit Tönen zu begleiten gebeten; da er Ihnen wohl will und Sie gerne gefördert sieht, so regen Sie ihn an und lassen sich's vortragen.

Ich bin überzeugt daß die Declamation eines vorzüglich geübten Schauspielers, der diesen Monolog ohne Rücksicht auf Musik declamirte, mit einer ächten Composition zusammentreffen und alsdenn ohne Musik vom Theater herab auf ein unbewußtes Publicum die größte Wirkung thun müßte.

Sie sehen hier eine von denen Grillen die ich auszuführen versuchen würde, wenn ich noch mit dem Theater in Verbindung stünde; dergleichen haben mir[29] die Führung des Geschäftes zwanzig Jahre erträglich, ja liebenswerth gemacht.

Nun aber zu der Frage wegen dunkler Stelle am Schluß des Trauerspiels. Ich lege sie mir folgendermaßen aus.


Adelchi.
O! König der König! (Jesus Christus)
Verrathen von einem Treuen (Jünger Judas Ischarioth)
Von andern verlassen (Petrus pp.)
Zu deinem Frieden (der Seligkeit)

Das Wort fedel steht hier wie in dem übrigen Stücke für: Lehnsmann, durch Pflicht und nicht gerade durch Gesinnung verbunden. Dagegen prodi fedeli die eigentlich wackren, wahren, dem Fürsten treu angeeigneten Männer bezeichnet; deswegen auch Carl über sich selbst verdrießlich wird, daß er die longobardischen zu ihm abtrünnigen Fürsten also begrüßt habe.

Nun aber noch ein längst gefühltes Bedenken bey einer Stelle des Originals: ich beharre streng auf der Forderung, die ja auch allgemein anerkannt wird, daß bey jeder Erzählung, besonders der beschreibenden, die strengste Folge der abzubildenden Gegenstände in Verknüpfung, Steigerung, in jeder Art von Vorschritt immer so klar und scharf gezeichnet seyen müsse, daß der Hörer und Leser notwendig so und nicht anders denken könne. Nun ist die Beschreibung des seltsamen Alpenweges die der Geistliche vorträgt von vornenherein gut und gehörig, wenn er an die höchsten[30] Alpen gelangt, wo die unübersteigbaren Schnee- und Eismassen sich erheben und bald darauf von einem Berge spricht, der über die andern seine Stirn erhob, so wird die Einbildungskraft wie durch eine fata morgana verrückt, indem der bewachsene Berg sich über die Gletscher in die Luft bewegt. Der Fehler liegt in der einzigen Zeile:


Der ob den andern seine Stirn erhob.


Das kann wohl heißen: über andern die neben ihm standen, aber dem Vortrage nach bezieht man es auf die eisigen Gipfel. Überhaupt hat uns der geistliche Herr so mühselig und lange steigen lassen, daß er sich wohl auch einige Zeit wieder hätte nehmen können, mit uns wieder herabzukommen, und ich würde ganz unbedenklich die Stelle mit wenigem abändern:


Unübersteigbar hebend. Mühsam half ich
An ihrem Fuß mich hin, und nährte Hoffnung,
In's Land herabzukommen. Fast schon sank
Die dritte Sonne, da erblickt' ich froh
Den grünen, breiten Rücken des Gebirges
Im Abend vor mir. Alsobald nun wandt' ich

Eine solche Willkür soll sich vielleicht der Übersetzer nicht nehmen; aber wer seinen Autor durchdringt, wird doch auch nach was dieser leistete bey sich aufrufen können, was jener hätte leisten wollen und sollen. Ich habe wenigstens bey'm Übersetzen immer so verfahren, will aber nicht behaupten daß es zulässig sey.

[31] Nehmen Sie dieß alles freundlich auf. Jede Mittheilung und Anfrage soll mir stets willkommen seyn; bey solchen Anregungen findet sich wohl eine Sunde zu geselliger Unterhaltung in die Ferne über einen Gegenstand, den wir aus einem Antrieb nicht hervorgerufen hätten. Wie man sich überhaupt immer sagen muß, daß solche ästhetische Beratungen in die Ferne nur als discursiv und läßlich anzusehen, und weder von der einen noch andern Seite als abschließlich und abgeschlossen zu nehmen sind. Sich immer mehr zu verständigen, um da unser Weg zusammentrifft rascher und sicher vorschreiten zu können, dieß ist Absicht und Aufgabe; möge uns gelingen sie aufzulösen.

Herrn Frommann in Jena wird angenehm seyn zu hören, daß Sie Adelchi übersetzen, denn er gibt die beiden Stücke im Original heraus und will dasjenige vordrucken, was ich in Kunst und Alterthum geäußert. Die Verfasser des Zeitblattes für italiänische Sprache werden auch wohl damit zufrieden seyn. Und so möge denn eins in's andere günstig fortwirken! Wir Deutsche hätten sehr viel zu thun, wenn wir auch unterließen uns selbst zu widerstreben.

Weimar den 23. Januar 1827.

[32]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Adolf Friedrich Carl Streckfuß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A9F-4