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An Thomas Carlyle

In diesen Tagen, mein Theuerster, geht abermals eine Sendung über Hamburg; sie enthält die zweyte Lieferung meiner Werke, worin Sie nichts Neues finden werden, der ich aber die alte Gunst auf's frische wieder zuzuwenden bitte. Dabey liegen fünf BändeKunst und Alterthum, welche schwerlich vollständig in Ihren Händen sind; auch das erste Heft des sechsten Bandes. In dieser Zeitschrift, welche seit 1818 langsam vorschreitet, finden Sie manches, was für Sie und wohl auch für Ihre Nation interessant ist. Das Foreign Quarterly Review, wovon zwey Bände in meinen Händen sind, wird solche Notizen wohl aufnehmen.

In das Kästchen lege noch einige literarisch-sittliche Bemerkungen, und füge nur die Anfrage wegen eines einzigen Punctes, der mich besonders interessirt, hier bey; sie betrifft Herrn Des Voeux, dessen Übersetzung des Tasso nun auch wohl in Ihren Händen ist. Er verwendete seinen hiesigen Aufenthalt leidenschaftlich auf das Studium einer ihm vorerst nicht geläufigen Sprache und auf ein sorgfältiges Übertragen[221] gedachten Dramas. Er machte mir durch eine gedruckte Copie seines Manuscriptes die Bequemlichkeit, seine vorrückende Arbeit nach und nach durchzusehen, wobey ich freylich nichts wirken konnte als zu beurtheilen, ob die Übersetzung, insofern ich englisch lese, mit dem Sinn, den ich in meine Zeilen zu legen gedachte, übereinstimmend zu finden wäre. Und da will ich gern gestehen, daß nach einiger Übereinkunft zu gewissen Abänderungen ich nichts mehr zu erinnern wußte, was mir für das Verständniß meines Werkes in einer fremden Sprache wäre hinderlich gewesen. Nun aber möcht ich von Ihnen wissen, inwiefern dieser Tasso als Englisch gelten kann. Sie werden mich höchlich verbinden, wenn Sie mich hierüber aufklären und erleuchten; denn eben diese Bezüge vom Originale zur Übersetzung sind es ja, welche die Verhältnisse von Nation zu Nation am allerdeutlichsten aussprechen und die man zu Förderung der vor- und obwaltenden allgemeinen Weltliteratur vorzüglich zu kennen und zu beurtheilen hat.

An Ihre theure Gattin werden Sie mit meinen schönsten Grüßen das Adressirte gefällig abgeben.

Ferner habe ich sechs Medaillen beygelegt, drey weimarische, drey Genfer, wovon ich zwey Herrn Walter Scott mit meinen verbindlichsten Grüßen einzuhändigen, die andern aber an Wohlwollende zu vertheilen bitte.

Da ich die hier übrigen Seiten nicht leer abschicken [222] möchte, so füge noch einige vorläufige Betrachtungen über das Foreign Quarterly Review hier bey:

In diesem gleich vom Anfang solid und würdig erscheinenden Werke finde ich mehrere Aufsätze über deutsche Literatur: Ernst Schulze, Hoffmann und unser Theater; ich glaube darin den Edinburger Freund zu erkennen, denn es wäre doch wunderbar, wenn das alte Britannien ein paar Menächmen hervorgebracht haben sollte, welche gleich ruhig, heiter, sinnig, sittig, gründlich und umsichtig, klar und ausführlich, und was dergleichen gute Eigenschaften sich noch mehr anschließen, eine fremde, geographisch, moralisch und ästhetisch abstehende Mittellandscultur liebevoll darstellen könnten und möchten. Auch die übrigen Recensionen, insofern ich sie gelesen habe, finde ich auf einem soliden Vaterlandsgrunde mit Einsicht, Umsicht und Mäßigung geschrieben. Und wenn ich z.B. Dupins weltbürgerliche Arbeiten sehr hoch schätze, so waren mir doch die Bemerkungen des Referenten S. 496, Vol. I, sehr willkommen. Das Gleiche gilt von manchem, was bey Gelegenheit der Religionshändel in Schlesien geäußert wird. In dem nächsten Stücke von Kunst und Alterthum denke ich mich über diese Berührungen aus der Ferne freundlich zu erklären und eine solche wechselseitige Behandlung meinen ausländischen und inländischen Freunden bestens zu empfehlen, indem ich das Testament Johannis als das meinige schließlich ausspreche [223] und als den Inhalt aller Weisheit einschärfe: Kindlein, liebt euch! wobey ich wohl hoffen darf, daß dieses Wort meinen Zeitgenossen nicht so seltsam vorkommen werde als den Schülern des Evangelisten, die ganz andere höhere Offenbarungen erwarteten.

Das Weitere mit der in diesen Tagen abgehenden Sendung.

treu verbunden

Weimar den 1. Januar 1828.

J. W. v. Goethe.


Können Sie mir vertrauen, wer den Aufsatz: State of German Literature im Edinburgh Review, Nr. XCII, October 1827, geschrieben hat? Hier glaubt man, es sey Herr Lockhart, Herrn W. Scotts Schwiegersohn. Ernst und Wohlwollen sind gleich verehrungswerth.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8AA5-5