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An Thomas Johann Seebeck

[Concept.]

Ew. Wohlgeboren

haben mich nach einer langen Pause durch Brief und Sendung wieder einmal gar freundlich begrüßt; nehmen Sie dafür meinen besten Dank. Denn eigentlich sollte man im Leben nicht so lange Zeit vorübergehen lassen, ohne das längst bestehende freundschaftliche Verhältniß wieder zu erinnern. Die Erscheinung [132] Ihrer lieben Familie in Jena eröffnete wirklich die angenehmste Epoche eines erneuten Andenkens. Es war so manches anders geworden und die wechselseitigen Gesinnungen waren doch dieselbigen geblieben; das Wohlwollen der Eltern hatte sich in den Kindern vervielfacht.

Daß Sie den werthen Ihrigen eine angenehme Stätte in Berlin bereiten würden, daran hatte ich nie gezweifelt, möge es nun auch in Folge zum allerbesten gedeihen. Verlangend bin ich, von Ihrer Thätigkeit weiter zu hören und zu vernehmen, wie Sie in dem Berliner Elemente auf eigne Weise wirken und einwirken. Sagen Sie mir doch etwas vom Professor Friedrich Wolff, welcher den Auszug des Biotischen Werks übersetzt. Er scheint auf dieser systematischen Postkutsche Irrthum und Wahrheit zu uns herüberzuführen.

Rohde zu Potsdam wird als Stimme in der Wüste kaum wohl vernommen; wenn man diesen Dingen eine Zeitlang zugesehen hat, so läßt man sie am Ende mit Gelassenheit geschehen.

Manchmal kommt denn doch aber auch etwas das Freude macht. Die Durchreise des englischen Mahlers Herrn Dawe hat mich auf acht Tage belebt, er mahlte mein Bildniß und ich fand bey dieser Gelegenheit die angenehmste Unterhaltung. Er hatte Kenntniß von dem was seine Landsleute, Sowerby, Dr. Read und andere, in der Farbenlehre versucht hatten, es war [133] ihm allgemeine Kenntniß von unsern Bemühungen zugekommen. Ich suchte ihn von der praktischen Seite zu gewinnen, und in kurzem war er mit der Lehre vom Trüben, von der Farbenentstehung durch dessen Vermittlung so bekannt, als wenn er sie erfunden hätte. Dieß ist der Vortheil den man mit Engländern hat, daß sie das Brauchbare vom Unbrauchbaren gleich zu unterscheiden wissen. Franzosen und Deutsche geben sich mit den accès de facile transmission et de facile réflexion pp. bis an's jüngste Gericht immer auf's neue wieder ab, ohne zu bemerken daß sie ihre Zeit auf's schmählichste verderben. Dabey bleibt wohl nichts weiter übrig als seinen Gang in aller Unschuld und Sicherheit immer fortzugehen.

Der Prometheus nimmt sich wunderlich genug aus; ich getraute mir kaum ihn drucken zu lassen, so modern-fasculottisch sind seine Gesinnungen; wie wunderlich dieß alles seit so viel Jahren in den Geistern hin- und widerwogt!

Seitdem meine Kinder so freundlich in Berlin aufgenommen worden, höre ich von dort fast nichts mehr; lassen Sie von Zeit zu Zeit mich von sich, den lieben Ihrigen und den nächsten Sinnesverwandten einige Nachricht erhalten.

Weimar den 30. December 1819.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Thomas Johann Seebeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8AAF-2