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An Friedrich Heinrich Jacobi

Das grüne Briefblatt, das ich lange nicht gesehen hatte, war mir höchst erfreulich, nur hätte ich demselben auch einen heitern Inhalt gewünscht. Es schmerzt mich daß dir ein gesundes und glückliches Alter versagt ist, das doch so manchem zu Theil wird, und wünsche nur daß deine Reise eine Wirkung haben möge, die du freylich selbst nicht zu hoffen scheinst.

[278] Laß mir, wenn du von Paris zurückkehrst, wissen wie es dir ergangen ist; da du dort in Verhältnissen lebst, die dir eine nähere Einsicht in manche Zustände gewähren.

Wenn du einen Freund hast, der auch ein Kunstfreund ist, wie du mir Quatremère de Quincy (wenn ich recht lese), nennest, so verschaffe mir durch ihn eine kurze Anleitung, die man einem jungen Künstler, der nach Paris reist, mitgeben könnte, damit er sich in die dortigen Verhältnisse am schnellsten finde.

Es eilt gegenwärtig so mancher hin, den man seinem guten Glück überläßt, und doch ist hier und da einer für den man etwas zu thun wünscht. Erlaubte dein Freund daß man ihm einen solchen von Zeit zu Zeit addressirte und ihn seiner Vorsorge empföhle, so würde mir dadurch eine besondere Gunst wiederfahren, der ich mich jedoch nur mit der größten Bescheidenheit bedienen würde.

Es hält sich gegenwärtig ein Düsseldorfer Mahler, Nahmens Heinrich Kolbe, in Paris auf, einer von denen, die bey uns den Preis gewannen, der ein schönes Talent besitzt und eine gar gute Natur zu seyn scheint. Möchtest du ihn kommen lassen und ihm etwas Freundliches sagen, oder erzeigen, so würde deine dortige Gegenwart auch für diesen jungen Mann gesegnet seyn.

Übrigens wünsche ich dir zu deinem dortigen Aufenthalt alles Gute und Erfreuliche.

[279] Was mich betrifft, so habe ich mich, nach meinem vorjährigen großen Übel, ganz leidlich erholt und diesen Sommer fünf, meist regnigte und unangenehme Wochen in Pyrmont; dagegen fünf sehr lehrreiche und zufriedene in Göttingen zugebracht. Es ist gar zu angenehm, auf einem solchen Meere des Wissens, nach allen Gegenden, die uns interessiren, mit Leichtigkeit, hinsegeln zu können.

Das alte poetisch-wissenschaftliche Wesen, das du an mir kennst, fahre ich eben fort auszubilden. Man lernt mehr einsehen, indem man weniger leistet, und so hat jede Jahrszeit des Lebens ihre Vortheile und ihre Nachtheile.

Die jährliche Kunstausstellung schafft uns viel Vergnügen und Nutzen, indem sie Gelegenheit zu einer, in ihrer Art, einzigen Unterhaltung giebt.

Die übrigen Geschäfte die ich treibe beziehen sich auch auf Natur, Kunst oder Wissenschaft.

Wie ich mich zur Philosophie verhalte kannst du leicht auch denken. Wenn sie sich vorzüglich aufs Trennen legt, so kann ich mit ihr nicht zurechte kommen und ich kann wohl sagen: sie hat mir mitunter geschadet, indem sie mich in meinem natürlichen Gang störte; wenn sie aber vereint, oder vielmehr wenn sie unsere ursprüngliche Empfindung als seyen wir mit der Natur eins, erhöht, sichert und in ein tiefes, ruhiges Anschauen verwandelt, in dessen immerwährender synkrisis und diakrisis wir ein [280] göttliches Leben fühlen, wenn uns ein solches zu führen auch nicht erlaubt ist, dann ist sie mir willkommen und du kannst meinen Antheil an deinen Arbeiten darnach berechnen.

Für den überschickten Aufsatz danke ich schönstens, der Almanach ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen.

Seit Herr Himly in Jena ist bin ich einigemal drüben gewesen und habe ihn verschiedentlich gesehen. Er gefällt mir im Ganzen recht wohl, auch habe ich verschiedenes von ihm gelesen, wo er mir auf guten Wegen zu seyn scheint. Nur glaubte ich aus seinen Reden zu schließen, daß er einige Aversion für der Philosophie habe, welches ihm früher oder später zum Nachtheil gereichen muß.

Ich erlaube jedem Erfahrungsmanne, der doch immer, wenn was tüchtiges aus ihm wird, ein philosophe sans le scavoir ist und bleibt, gegen die Philosophie, besonders wie sie in unsern Tagen erscheint, eine Art Apprehension, die aber nicht in Abneigung ausarten, sondern sich in eine stille vorsichtige Neigung auflösen muß. Geschieht das nicht, so ist ehe man sichs versieht der Weg zur Philisterey betreten, auf dem ein guter Kopf sich nur desto schlimmer befindet, als er, auf eine ungeschickte Weise, die bessere Gesellschaft vermeidet, die ihm allein bey seinem Streben behülflich seyn konnte.

Deinen Enkel habe ich nur einige Augenblicke gesehen, etwas näher den Sohn unserer Freundin. Die[281] drey Schlosser und zwey Voße machen eine der wunderbarsten jungen Gesellschaften, die je zu meiner Kenntniß gekommen sind. Der jüngste Sohn des Schöff Schlosser ist ein kleiner Enragé für die neuste Philosophie und das mit so viel Geist, Herz und Sinn, daß ich und Schelling unser Wunder daran seyn. Sein älterer Bruder ist eine ruhige verständige Natur, den, wie ich merke, der Kleine auch nach Jena, zu der seligmachenden Lehre, gerufen hat. Der Sohn meines Schwagers scheint seinen Vater nicht zu verläugnen. Mir kommt vor daß er einen guten geraden Sinn hat, Luft an der Erfahrung. Nicht wenig scheint er betroffen zu seyn daß er alles, was man ihm an Philosophie eingeflößt, abschwören soll. Wozu ihn doch wahrscheinlich sein kleiner Vetter endlich nöthigen wird.

Von den Voßens scheint mir der eine etwas überspannt und der andere etwas dunkel. Wär es nicht die Neigung und das Verhältniß zu diesen jungen Leuten, so würde schon die Neugierde, wie ein solches Phänomen sich auflösen kann, mich aufmerksam auf sie machen.

Unsere Schlosser hat mir geschrieben, ich denke ihr in diesen Tagen zu antworten. Grüße mir deine treue Schwester in deiner Nähe, und Klärchen, wenn du ihr schreibst, zum schönsten. In unserer Gegend kann ich kaum hoffen dich zu sehen und wo wir uns sonst einmal treffen möchten – Lebe wohl [282] und reize mich bald wieder dir ein neues Blatt anzufangen.

Weimar am 23. Nov. 1801.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1801. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B1C-D