28/7793.

An Sulpiz Boisserée

Indem Ihr angenehmer Brief unterwegs war, ist der meinige vom 18. dieses ihm begegnet. Unsere Großherzogin ist wie ich höre nicht über Heidelberg gegangen, ihr fester Vorsatz aber war bey Ihnen nach der Rückreise einzusprechen. Da Sie gegen Anfang August eintreffen, so gelangt sie ohne Unbequemlichkeit der werthen Besitzer zu dem so sehr gewünschten Genusse.

Nach dem Wunsche der besten Fürstin und nach meinem eignen sollt' ich um diese Zeit auch bey Ihnen seyn, allein ich weiß nicht was aus mir werden kann. Von andern Sorgen und Geschäften befreyt, hab' ich mich seit eilf Wochen in Jena auf Naturbetrachtungen und auf ältere dahinbezügliche Papiere geworfen. Das daraus entstandene Heft, wovon Sie die Musterblätter billigten, soll bald in Ihren Händen seyn.

Herrn Hegel grüßen Sie zum allerschönsten und danken ihm daß er mir so mächtig zu Hülfe kommt. Er wird in gedachtem meinem Hefte, und ich hoffe [155] zu seiner Zufriedenheit, die Elemente der entoptischen Farben entwickelt finden. Die Träume des Herrn Malus und Consorten müssen nach und nach verschwinden. Des Herrn Tobias Meyer seltsame mit Polen und Äquatoren versehene Lichtkügelchen habe ich seit meinem Hierseyn mit völligem Ernst vortragen hören, wobey man sich dem unbequemsten Apparats bediente, so daß niemand sah was er sehen sollte, und daß nichts heißen wollte, was man sah.

Da nunmehr die höhere Philosophie dem Licht seine Selbstständigkeit, Reinheit und Unzerlegbarkeit vindicirt, so haben wir andern gewonnenes Spiel, und können in unserer Naivität ganz gelassen den höchsten Betrachtungen vorarbeiten.

Was mir besonders interessant ist bekenn ich gern: daß dieses reine Licht von Heidelberg kommt wo man gerade bey einer Recension Hegelschen Werks so unartig und zwar mit Namens-Unterschrift gegen mich verfahren ist.

Empfehlen Sie mich Herrn Hegel schönstens, den man ja noch vor ein paar Jahren von Heidelberg aus bedauert hat, daß er als ein sonst ganz wackrer Mann mit mir auf einer so niedrigen Stufe wissenschaftlicher Bildung verweile. Geben Sie ihm beyliegend Blättchen, worauf Sie die schon bekannte mystische Figur erblicken werden. Ich liefere hiedurch in seine Hände alles was jemals bey doppelter Spiegelung vorgefallen ist und vorfallen kann. Erräth [156] er das Räthsel, so bitt ich es zu verschweigen bis meine Auflösung erscheint.

Die freundliche Aufnahme meines Rochusfestes erfreut mich gar sehr. Ich hatte vorm Jahr in meiner Tennstedter Einsamkeit alle Liebe und Treue auf diese Darstellung verwendet die mich in so schöne Zeit in jene Gegenden versetzte. Auch Ihre Freundschaft schwebte mir immer vor, so wie die heitern, lehrreichen Stunden die wir zusammen genossen. Ich zweifelte nicht an Ihrer Theilnahme, da Sie an jener Epoche so viel Theil genommen.

Von Ruckstuhl hab' ich auch ein recht freundliches Wort darüber, der mir im Ganzen seine Ansichten über meine schriftstellerischen Arbeiten gesendet. Es war ein recht erfreulicher Anblick sich in einem so klaren, jungen, ungetrübten Spiegel wieder zu sehen.

Wegen W. K. F. sind schon manche Reclamationen und Approbationen eingegangen; alles wird sorgfältig zu Acten geheftet und wird daraus ein entschiedender Blick in die deutsche Kunstwelt, ihr Wollen und Vollbringen hervorgehen, welches ohne diesen kühnen Schritt nicht gewesen wäre. Eine Vermittlung wird sich um desto eher bilden lassen, als die kleine Schrift, genau besehen, sie schon enthält, worüber ich das Weitere bis zur Vollendung der Zeit nicht aussprechen mag. Eigentlich sollten wir zusammen eine Reise nach Brabant und Holland [157] machen, wo sich alles von selbst ergäbe. – Wenn ich nur auf den Gebrauch der mineralischen Wasser nicht die schönste Sommerzeit verwenden müßte!

Übrigens drängt am stärksten die englische Literatur auf uns. Die wieder eröffnete Verbindung, besonders des Großherzogs Reisen und Theilnahme bringt uns Älteres und Neueres mit Gewalt und Fülle, woraus denn manche gute Unterhaltung in Jena entspringt, wo für jedes Bedeutende gewiß Interesse herrscht, wie Sie in Heidelberg glücklicherweise auch finden.

Leben Sie schönstens wohl, grüßen Sie die lieben Haus- und Kunstgenossen mit denen ich wohl wieder einmal in den heiligen Räumen zu Tische sitzen möchte. Ich habe mehrere Briefe hinter einander abgeschickt, verzeihen Sie daher wenn ich mich wiederhole. An gewissen Gegenständen muß ich freilich halten, wenn etwas geleistet werden soll. Nichts ist schwieriger als aus dem Verwickelten und Verworrenen sich in's Einfache zu ziehen, das man, hat man es auch erfaßt, wieder zu verlieren Gefahr läuft. Ihre zu hoffenden Briefe bitte nach Weimar zu addressiren.

Tausend Lebewohl!

anhänglichst

Jena d. 1. July 1817.

Goethe. [158]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8B7A-C