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An Heinrich Carl Abraham Eichstädt

Ew. Wohlgeboren

übersende die mitgetheilten Manuscripte mit vielem Dank. Meine Meinung darüber ist kürzlich folgende:

1. Der Aufsatz gegen Schlegel ist eine jammervolle Salbaderey, wodurch die Fragen um nichts weiter ins Klare kommen. Man könnte sich erbieten ihn einzurücken, wenn ihn ein bekannter Mann unterschreiben wollte. Mich däucht dieß kann man in dem gegenwärtigen Fall verlangen. Warum sollte sich der Verfasser nicht nennen, da ein genannter Künstler gegen einen genannten Schriftsteller vertheidigt wird?

2. Der Aufsatz über den ersten Band meiner Werke hat mir viel Vergnügen gemacht. Ich erkenne darin den Mann, der von jeher mit Wohlwollen meinen Arbeiten seine Aufmerksamkeit schenkte und der ein Interesse fand sich meine Art und Weise zu vergegenwärtigen. Er hat Gedichte und Stellen, auf die ich selbst einen besondern Werth lege und die lange unbemerkt geblieben sind, hervorgezogen und sich überhaupt, wie mich dünkt, mit Offenheit und Redlichkeit betragen.

[249] 3. Die auf altdeutsche Poesie sich beziehende Aufsätze haben mir desto weniger Freude gemacht. Dem Verfasser fehlt es gar sehr an historischen Kenntnissen. Das habe ich desto lebhafter gefühlt, da ich selbst von ihm etwas zu lernen gewünscht hätte. Was soll man zu der großen Lücke zwischen Bodmer und Tieck sagen? Warum ist denn von Herdern einmal gar nicht, und das andere Mal nur im Vorbeygehen die Rede? Wer diese vierzig Jahre mitgelebt und mitgewirkt hat, der weiß besser, wem man diese Ämter schuldig ist, welche die jungen Herren mit soviel Dünkel abmähen. Das Wunderhorn, das ich sehr schätze, ist keineswegs unmittelbar und augenblicklich aus dem Boden entsprungen. Es geziemte denen, die sich mit solchen Dingen abgeben, die Geschichte solcher Erscheinungen zu erforschen. Ferner gehört der Verfasser zu den eingebildeten Neulingen, die gegen das was sie Ästhetik nennen sich auflehnen, damit nur ihre Orakelsprüche als etwas erscheinen sollen. Nicht daß ich alles verwerfe, was die neue Zeit lebhafter als die ältere treibt, aber wie verdrießlich ist es erprobten Maximen des Urtheils von solchen verworfenen zu sehen, die in jener Äußerung zeigen, daß sie weder von Gehalt noch von Behandlung eines Kunstwerks den wahren Begriff haben. Ich will gerne glauben, daß ich dem Verfasser einigermaßen Unrecht thue: denn ich muß gestehen, daß ich nur den geringsten Theil der Blätter gelesen habe; aber ich sehe gar nicht ein, warum man [250] gegen Ungerechte gerecht seyn soll. Ich war schon einigemal in Versuchung bey gegebenem Anlaß mich in Ihrer Zeitung einmal derb und deutlich über dieses Anwesen vernehmen zu lassen; doch wer behielte die Luft einen Mohren zu waschen? und ich habe in meinem Leben genug erfahren, daß die Thoren von vernünftigen Menschen grade nur soviel lernen und annehmen, als sie brauchen um noch närrischer zu seyn.

Für ein Neujahrsprogramm wird gesorgt. Das Kupfer wird hoff' ich etwas angenehmes darstellen.

Der ich recht wohl zu leben wünsche und mich zu geneigtem Andenken empfehle.

Weimar den 8. December 1808.

Goethe.


Lassen Sie sich jedoch durch obenstehendes nicht abhalten Aufsatz und Recension abdrucken zu lassen. Dergleichen Gesinnungen müssen doch nun einmal ins Publicum und es ist gut, daß es je eher je lieber geschehe. Der Widerstreit wird erregt und die Sichtung geschieht. Über die Recension des Attila nächstens.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Heinrich Carl Abraham Eichstädt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8D74-8