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An Friedrich Heinrich Jacobi

Ich erhielt deinen lieben Brief eben als ich mich hatte bereden lassen wieder einmal die Eisbahn zu besuchen, und konnte mich also gleich, unter freyem Himmel, bey schönem Wetter, deines Andenkens erfreuen.

Dieses dein Lebenszeichen ist mir höchst willkommen, da deiner so oft auch in unsern Cirkeln gedacht wird. Meine alte Liebe ist dir Bürge, daß es mir immer eine sehr angenehme Empfindung macht, wenn diejenigen, die sonst nicht viel gelten lassen, deiner in Ehren gedenken.

Den Brief an Fichte hatte ich schon im Manuscript gesehen, im Drucke war er mir, gehaltvoll wie er ist, schon wieder neu, besonders erhält er durch die Beylagen seine völlige Rundung.

Der Anblick einer, von Hause aus, vornehmen Natur, die an sich selbst glaubt und also auch an das beste glauben muß dessen der Mensch auf seinen höchsten Stufen sich fähig halten darf, ist immer wohlthätig und wird entzückend, wenn wir Freundschaft und Liebe gegen uns in ihr, zugleich mit ihren Vorzügen, mit empfinden.

Seit der Zeit wir uns nicht unmittelbar berührt haben, habe ich manche Vortheile geistiger Bildung genossen. Sonst machte mich mein entschiedener [4] Haß gegen Schwärmerey, Heucheley und Anmaßung auch gegen das wahre ideale Gute im Menschen, das sich in der Erfahrung nicht wohl ganz rein zeigen kann, oft ungerecht. Auch hierüber, wie über manches andere belehrt uns die Zeit, und man lernt: daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung seyn kann.

Seit der Zeit ist mir jedes ideale Streben, wo ich es antreffe, werth und lieb, und du kannst denken wie mich der Gedanke an dich erfreuen muß, da deine Richtung eine der reinsten ist die ich jemals gekannt habe.

Wenn ich dir von mir sagen sollte, so müßte ich weitläufig seyn; denn die drey oder vier Jahre haben manche Veränderung in mir hervorgebracht.

Nachdem ich den vergeblichen Aufwand eines dilettantischen Strebens nachbildender Kunst eingesehen hatte, wollte ich mir zuletzt noch ein reines Anschauen des höchsten was uns davon übrig ist verschaffen. Mein Freund Meyer war deshalb schon 1795 nach Italien vorausgegangen und eben als ich mich losgelöst hatte ihm zu folgen, war die Verwirrung so groß daß ich nur bis in die Schweiz kam. Die Folge hat bewiesen daß wir wohl thaten wieder nach Hause zu kehren.

Was wir aus diesem allgemeinen und besondern Schiffbruche retten, magst du, wenn es dich interessirt, aus den Propyläen von Zeit zu Zeit ersehen.

Von poetischen Ideen und Planen liegt manches[5] vor mir, es kommt auf gut Glück an, ob und wie bald etwas davon zur Ausführung gedeiht.

Mit einer sehr angenehmen Empfindung arbeite ich nunmehr an der Farbenlehre. Nachdem ich mich beynahe 10 Jahre mit dem Einzelnen durchgequält habe, so sehe ich die Möglichkeit dieses schöne und reiche Capitel, das bisher theils vernachlässigt, theils mit vorsätzlicher Dumpfheit obscurirt worden ist, sowohl in sich selbst zu vollenden und aufzuklären, als auch mit dem Kreis der übrigen Naturerscheinungen zu verbinden. Die Arbeit ist noch immer groß die vor mir liegt, indessen kann ich hoffen sie zu vollenden.

Sie hat mir übrigens große Vortheile gebracht, indem ich dabey genöthigt war sowohl gegen Erfahrung als Theorie Face zu machen, und mich also nach beyden Seiten gleich auszubilden suchen mußte. Dabey kam mir zu statten daß ich von jeher, beym Anschauen der Gegenstände, auf dem genetischen Weg mich am besten befand, so daß es mir nicht schwer werden konnte mich zu der dynamischen Vorstellungsart, welche uns bey der Betrachtung der Natur so herrlich fördert, zu erheben.

Ich wünsche daß dich dieses Specimen, wenn es dereinst wird zu Papiere gebracht seyn, in guter Gesundheit antreffen und dir einen guten Tag machen möge.

Wenn du dich nur nicht zu weit hinten in Norden gebettet hättest, wo ich wohl kaum Hoffnung habe[6] dich zu besuchen! Es mag dir zwar ganz gut und gemüthlich daselbst seyn; doch da du einmal an den Rhein nicht wieder zurückzukehren gedachtest, so hätte ich gewünscht dich an einem Ort wie Dresden wohnhaft zu sehen, der doch mitten in der bewohnten Welt liegt, an Reizen der Natur und Kunst reich ist und von Fremden viel besucht wird. Da hätte man denn freylich hoffen können sich jährlich einmal zu sehen. Doch müssen wir auch jetzt nicht verzweifeln uns im Leben noch irgendwo zu finden. (Die Fortsetzung nächstens.)

Weimar d. 2. Jan. 1800.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1800. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F04-3