46/14.

An Thomas Carlyle

[14. Juli 1829.]

Mein Schreiben vom 25. Juni wird nunmehr schon längst in Ihren Händen seyn. Die angekündigte [10] Sendung geht erst jetzt ab; diese Verspätung aber giebt mir glücklicherweise Gelegenheit von meinem Briefwechsel mit Schiller die ersten Theile beyzulegen; Sie werden darin zwey Freunde gewahr werden, welche, von den verschiedensten Seiten ausgehend, sich wechselseitig zu finden und sich an einander zu bilden suchen. Es wird Ihnen diese Sammlung von mehr als einer Seite bedeutend seyn, besonders da Sie auch Ihre eigenen Lebensjahre, auf welcher Stufe des Wachsthums und der Bildung Sie gestanden, an den Datums recapituliren können.

Auch einen Theil der Aushängebogen einer Übersetzung Ihres Lebens von Schiller von Schiller liegt bey. Ist es mir möglich, so sag ich einige Worte zur Einleitung; doch es sind meine Tage so unverhältnißmäßig überdrängt, als daß ich alle meine Wünsche und Vorsätze durchführen könnte.

Kommt Gegenwärtiges noch an vor dem 28. August, so bitte an demselben meinen achtzigsten Geburtstag im Stillen zu feyern und mir zu den Tagen, die mir noch gegönnt seyn sollten, eine verhältnißmäßige Gabe von Kräften eifrig zu erwünschen, auch von Zeit zu Zeit erbitte mir von Ihren Zuständen und Arbeiten einige Nachricht zu geben.

Auf dem Boden des Kästchen liegt eine Gabe, von meinen Frauenzimmern freundlichst gesendet; diese Wandzierde soll Sie alle Tage der Woche (sie wird französisch Semainière genannt) und zwar zu mancher [11] Stunde auf's heiterste erinnern. Genießen Sie mit Zufriedenheit der Ihnen gegönnten Ruhe und Sammlung, dagegen mein Leben, äußerlich zwar wenig bewegt, wenn es Ihnen als Vision vor der Seele vorübergehen sollte, Ihnen als ein wahrer Hexentumultkreis erscheinen müßte.

Ich erinnere mich nicht, ob ich Ihnen meine Farbenlehre gesendet habe; es ist außer dem Naturwissenschaftlichen doch so manches Allgemeine und Menschliche darin das Ihnen zusagen müßte. Besitzen Sie dieses Werk nicht, so sende es allernächst; bitte um Nachricht darüber.

Und so fort an!
Weimar den 6. Juli 1829.
Goethe.

Ein Gleichniß.

Jüngst pflückt ich einen Wiesenstrauß
Trug ihn gedankenvoll nach Haus;
Da hatte von der warmen Hand
Die Kronen sich alle zur Erde gewandt.
Ich setzte sie in frisches Glas;
Und welch ein Wunder war mir das!
Die Köpfchen hoben sich empor,
Die Blätterstengel im grünen Flor;
Und allzusammen so gesund
Als stünden sie noch auf Muttergrund.
So war mir's als ich wundersam
Mein Lied in fremder Sprache vernahm.
[12] Edle deutsche Häuslichkeit
Über's Meer gesendet,
Wo sich still in Thätigkeit
Häuslich Glück vollendet.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-905B-7