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An Eleonora Flies

[Concept.]

Es würde höchst undankbar von mir seyn, wenn ich mich aus dem lieben Böhmen entfernen wollte, wo es mir dießmal so wohl gegangen, ohne Ihnen für das Vergnügen zu danken, das ich auch Ihnen bey meinem Aufenthalte schuldig geworden. Die schöne Sendung handschriftlicher Blätter gab für mich selbst, sowie zur Unterhaltung anderer bey interessantesten Stoff. In gleicher Zeit erhielt ich von einem Freunde ebenfalls einen bedeutenden Beytrag und erregte durch Vorzeigung meiner Schätze bey gar manchen die freundliche Gesinnung sie zu vermehren und so erfolgte ein Gutes aus dem andern, wovon sich die Epoche mit der Ankunft des Marquis de Beauffort anfängt, dessen schätzbare Bekanntschaft ich Ihnen mit jenen angenehmen Denkmalen der Vor- und Mitwelt zu danken habe.

Für so viel Liebes und Gutes hätte ich denn auch wieder gern etwas Angenehmes erzeigt und da Sie mehr für andere, als für sich leben, so wollte ich ein Blatt übersenden, womit Sie unserer lieben Pichler einen Spaß machen sollten. Ich hatte ihren Agathokles in hiesiger Ruhe mit Aufmerksamkeit und vielem Vergnügen gelesen und war geneigt, dasjenige, was ich dabey empfunden und gedacht, flüchtig aufzuzeichnen. [81] Allein ich merkte bald, daß ich zu sehr in's Weite kam und mußte daher meinen löblichen Vorsatz aufgeben.

Sagen Sie ihr daher nur kürzlich, wie sehr die Zeichnung der Charaktere, die Anlage und Durchführung derselben meinen Beyfall habe, nicht weniger die Fabel, welche ohne verworren zu seyn, in einer prägnanten Zeit und auf einem breiten, bedeutenden Local sich so reich als faßlich ausdehnt. Wie sehr mich das angeborne Talent der Verfasserinn und die Ausbildung desselben dabey bestach, ist schon daraus ersichtlich, daß ich über diesem liebenswürdigen Natur- und Kunstwerke ganz vergaß, wie wenig mir sonst jenes Jahrhundert und die Gesinnungen, die darin triumphirend auftreten, eigentlich zusagen können. Ja unsre Freundinn wird es sich hoch anrechnen, daß ich nicht im Mindesten verdrießlich geworden bin, wenn sie meinen Großoheim Hadrian und sein Seelchen, meine übrige heydnische Sippschaft und ihre Geister nicht zum Besten behandelt. Die innere Consequenz des Werkes hat mich mit allem Einzelnen, was mir sonst hätte fremd bleiben müssen, wirklich befreundet.

Nach meiner gewöhnlichen Weise habe ich auch bey diesem Werke angefangen, mir hier und da den Plan umzudenken, einem Charakter eine andre Richtung, einer Begebenheit eine andere Wendung zu ertheilen; ich muß aber der Verfasserinn zum Rhum nachsagen, daß sie mich immer wieder durch die Folge bekehrt [82] und auf ihren eignen Sinn zurückgebracht hat, so daß ich mich wohl getraute, diese wohldurchdachte Arbeit, in menschlichem und künstlerischem Sinn, gegen jede Einwendung in Schutz zu nehmen. Nachdem ich sie so wohl studirt, bin ich neugierig, einige Recensionen derselben zu lesen.

Wenn es nicht zu spät wäre, ein solches Werk anzuzeigen, das nunmehr schon in Jedermanns Händen ist, so hoffte ich wo nicht die Verfasserinn, doch das Publicum mit einer neuen Ansicht desselben zu überraschen, daß man nämlich die liebenswürdige Calpurnia für die Hauptperson erklärte, ihr alle übrigen subordinirte, so wie auch die Begebenheiten sämmtlich auf sie bezöge.

Auf diese Weise würde man die Harmonie dieser Composition auf's neue recht anschaulich machen und könnte des Beyfalls der alten und jungen Herrn wenigstens hiebey gewiß versichert seyn.

Dieß mag nun wieder als Beyspiel gelten, was alles für Grillen ein Verfasser seinen Lesern nachzusehn hat, so wie es ein neuer Beweis ist, daß der Mund übergeht, wenn das Herz voll ist. Ich fing damit an, mich zu entschuldigen, daß ich nichts sagen wolle und bin schon weiter in den Text gekommen als billig. Nun will ich aber schließen und nur mich Ihrem Wohlwollen und meine Liebhabereyen Ihrer Vorsorge empfohlen haben.

Carlsbad den 30. Aug. 1812.

[83]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Eleonora Flies. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-90FC-0