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An Carl Friedrich Zelter
Du kannst dir nicht vorstellen, mein Theuerster, welch einen hübschen Abschluß zu deinem harmonischen Reisegesang diese verdrießliche Coda zu genießen gibt; laß dich's nicht reuen wie so manches andere; wobey ich aber gern gestehe, daß es mich doch einigermaßen gewundert hat, im Flor des neunzehnten Jahrhunderts einen Philosophen zu sehen, der den alten Vorwurf aus sich lud, daß nämlich diese Herren, welche Gott, Seele, Welt (und wie das alles heißen mag was niemand begreift) zu beherrschen glauben, und doch gegen die Bilden und Unbilden des gemeinsten Tages nicht gerüstet sind.
Inliegend 1 ein Paquet an Herrn Geh. Rath Streckfuß. Nach einigen vorläufigen Notizen ersuche ich ihn um Beyträge zu Kunst und Alterthum. Da mir so vieles an- und aufliegt und ich aufgefordert, ja gedrängt werde, diese Hefte fortzusetzen, so habe ich alle Ursache, mich nach wackern Theilnehmern umzusehen.
Hast du irgend etwas das du dem Druck übergeben möchtest, so theile es mit, ich werde es wie immer mit Ernst und Fleiß durchsehen. Habe ich etwas dabey zu erinnern oder daran zu mäkeln, so [132] meld ich es zu fernerem Berathen. Bis Weihnachten haben wir Zeit, alsdenn denk ich abzuschließen.
Laß mich nun auch von etwas Widerwärtigem sprechen: Doris Brief an Ulriken gibt mir einen Blick in den traurigsten Zustand des schönen und guten Mädchens; hier ist nicht an Heilung eines großen Übels, sondern nur an Linderung zu denken, und du hast wohl selbst bey dem Verweilen in unserm Kreise gefühlt, welches peinliche Stören und Entbehren aus Ulrikens gleich unheilbarem Zustande hervorgeht.
Aber was soll ich zu dem Rauchischen Falle sagen? dieser scheint sittlich verletzend zu seyn und um desto schlimmer zu erdulden. Ich empfinde ihn sehr peinlich. Sage das Nähere!
Du thatest wohl, die Welt einmal wieder in ihrer verwegenen Regsamkeit zu beschauen, das geht denn immer fort und vorwärts wie eine Belagerung; niemand kümmert sich, wer in den Tranchéen oder bey einem Ausfalle zu Grunde geht; was zuletzt erstürmt wird wollen wir nicht genau erforschen.
Daß mein Brief nach München zu dir gelangt ist, freut mich sehr; bey demselben will ich nur bemerken, daß der Blut- und Circulations-Schulze sich bey mir keineswegs empfohlen hat, indem er auf eine recht anmaßlich-jugendlich-ungeschickte Weise meiner früheren Bemühungen im botanischen Fach gedenkt und mir zum Vorwurf macht: daß ich vor vierzig [133] Jahren nicht völlig gethan habe was bis jetzt noch nicht geleistet ist.
Andererseits hat euer Link, den ich nicht schelten will, weil du ihm gewogen bist, neuerlich [bey] einem gewissen Anlaß, wo er nothwendig meiner Metamorphose der Pflanzen hätte gedenken sollen, dieselbe mühsam verschwiegen und einen alten Linnéischen, zwar geistreichen aber nicht auslangenden Einfall wieder hervorgehoben. Es ist mir doch als wenn selbst gute und vorzügliche Menschen an gewissen Tagen, unter gewissen Umständen, nichts zu taugen verdammt wären.
Hätte ich mich nicht in die Naturwissenschaften eingelassen, so wäre ich nie zu dieser Einsicht gelangt; denn in sittlichen und ästhetischen Dingen läßt sich das Wahre und Falsche niemals so in die Enge treiben; im Wissenschaftlichen aber, wenn ich redlich gegen mich selbst bin, muß ich es gegen andere seyn, und so gereut mich die undenkliche Zeit nicht, die ich auf dieses Fach verwendet habe; denn nach meiner Behandlung muß jeder Tag, muß Gönner und Widersacher mich fördern, sie mögen sich stellen wie sie wollen.
In Eile treulichst.
J. W. v. Goethe.
[134] 1 NB. Eine an dich gerichtete Sendung ist auf die fahrende Post gegeben.