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An Friedrich Schiller

[6. October.]

Anstatt gestern von Ihnen fort zu eilen, wäre ich lieber geblieben und die Unbehaglichkeit eines unbefriedigten Zustandes hat mich auf dem ganzen Wege begleitet. In so kurzer Zeit giebt man vielerley Themata an und führt keins aus und so vielerley man auch rege macht, kommt doch wenig zur Runde und Reife.

Ihren Gedichten hab' ich auf meiner Rückkehr hauptsächlich nachgedacht, sie haben besondere Vorzüge und ich möchte sagen, sie sind nun wie ich sie vormals von Ihnen hoffte. Diese sonderbare Mischung von Anschauen und Abstraction die in Ihrer Natur ist, zeigt sich nun in vollkommenem Gleichgewicht, und alle übrigen poetischen Tugenden treten in schöner[310] Ordnung auf. Mit Vergnügen werde ich sie gedruckt wiederfinden, sie selbst wiederholt genießen und den Genuß mit andern theilen. Das kleine Gedicht in Stanzen an das Publikum, würde den diesjährigen Jahrgang der Horen sehr schicklich und anmuthig schließen.

Ich habe mich sogleich mit der Frau v. Stael beschäftigt und finde mehr Arbeit dabey als ich dachte, indessen will ich sie durchsetzen, denn es ist nicht viel, das Ganze giebt höchstens 55 Blätter meines Manuscripts. Die erste Abtheilung von 21 Blättern sollen Sie bald haben. Ich werde mich in einer kleinen Vorrede an den Herausgeber über die Art erklären, wie ich bey der Übersetzung verfahren bin. Um Ihnen kleine Zurechtweisungen zu ersparen, hab' ich ihre Worte unserm Sinne genähert, und zugleich die französische Unbestimmtheit nach unserer deutschen Art etwas genauer zu deuten gesucht. Im einzelnen werden Sie sehr viel Gutes finden, da sie aber einseitig und doch wieder gescheut und ehrlich ist, so kann sie mit sich selbst auf keine Weise einig werden; als Text aber können Sie es gewiß fürtrefflich brauchen. Ich wünschte, daß Sie sich die Mühe gäben in Ihrer Arbeit so klar und galant als möglich zu seyn, damit man es ihr in der Folge zuschicken und dadurch einen Anfang machen könnte, den Tanz der Horen auch in das umgeschaffne Frankreich hinüber zu leiten.


[311] W. d. 10. Octbr. 95.

Soweit hatte ich vor einigen lagen dicktirt, nun sage ich Ihnen nochmals Adieu, ich gehe erst morgen frühe weg. Das Staelische Werck erhalten Sie bald, halb oder ganz, was die gute Frau mit sich selbsts eins und uneins ist!

Von Franckfurt schreibe ich bald, leben Sie recht wohl mit den Ihrigen. Grüßen Sie Humbold, von Franckfurt schreibe ich auch ihm. Wenn mein Roman ankommt erhalten Sie 4 Exemplare wovon Humbold, Loder, Prof. Hufeland die 3 erhalten. Wenn Humbold nicht, wie ich hoffe, das seinige schon in Berlin weggenommen hat.

G.

»Welch ein erhabner Gedancke! uns lehrt der unsterbliche Meister
Künstlich zu spalten den Strahl, den wir nur einfach gekannt.«
Das ist ein pfäffischer Einfall! denn lange spaltet die Kirche
Ihren Gott sich in drey, wie ihr in sieben das Licht.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1795. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-942D-6