40/152.

An Franz von Elsholtz

Über das Lustspiel:

Die Hofdame.

Es war ein sehr glücklicher Einfall des Dichters, seine vornehmen Weltleute aus Italien zurückkommen zu lassen; dadurch verleiht er ihnen eine Art empirischer [163] Idealität, die sich gewöhnlich in Sinnlichkeit und Ungebundenheit verliert, wovon denn auch schon glücklicher Gebrauch gemacht, noch mehr Vortheil aber daraus zu ziehen ist. Gehen wir schrittweise:

Die Scene, wo der Fürst, Adamar und der Hofmarschall allein bleiben, ist die erste ruhige des Stücks. Hier ist der Zuschauer geneigt aufzumerken, deswegen sie mit großer Umsicht und Sorgfalt zu behandeln ist, ohngefähr folgender Maßen:

Der Hofmarschall formalisirt sich über das Geschehene, als über etwas höchst Tadelnswerthes und Ungewöhnliches.

Der Fürst entschuldigt den Vorfall durch seine alte, wieder aufwachende Jagdliebe, bringt das Beyspiel von Pferden, welche der gewohnten Trompete und dem Jagdhorne unwiderstehlich gehorchen; bemerkt auch, daß über die wilden Schweine vom Landmanne schon viele Klagen geführt worden und schließt, daß der Fall nicht so ganz unerhört sey, daß ein Beyspiel in Welschland ihm sey erzählt worden.

Der Hofmarschall kreuzigt und segnet sich vor Welschland, ergeht sich über die freye ungebundene Lebensart, an die man sich gewöhne, und gibt dem Umgange mit Künstlern alles schuld.

Der Fürst wendet sich scherzend an Adamar und fordert ihn auf, seine Freunde zu vertheidigen.

Adamar erwidert: man habe die Künstler höchlich zu schätzen, daß sie in einem Lande, wo alles zu [164] Müßiggang und Genuß einlade, sich die größten Entbehrungen zumutheten, um einer vollkommnen Kunst, dem Höchsten was die Welt je gesehen, unermüdet nachzustreben. (Dieß kann eine sehr schöne Stelle werden und ist mit großer Sorgfalt auszuführen.)

Der Hofmarschall läßt die Künstler in Italien gelten, findet aber ihr Äußeres gar wunderlich, wenn sie nach Teutschland kommen. Hier ist heiter und ohne Bitterkeit das Costüme der zugeknöpften Schwarzröcke zu schildern, der offne Hals, das Schnurbärtchen, die herabfallenden Locken, allenfalls die Brille.

Der Fürst entgegnet durch Herabsetzung der Hofuniform, die er selbst an hat und die ihm wohl steht: von einem geistreichen talentvollen Menschen, der in der Natur leben wolle, könne man vergleichen Aufzug nicht verlangen. Der Fürst, als seiner Braut entgegenreitend, muß sehr wohl gekleidet erscheinen und das Auge des Zuschauers muß den Worten des Prinzen widersprechen.

Der Hofmarschall läßt die Künstler-Maske in Italien gelten, nur sollten sie nicht an teutschen Höfen erscheinen: so habe sich neulich der Fürst mit Einem ganz familiär betragen, es habe gar wunderlich ausgesehen, wenn Ihro Hoheit mit einem solchen Natursohne aus dem Mittelalter durch die Felder gegangen seyen.

Adamar nimmt das Wort, beschreibt Vergnügen und Vortheile, die Natur mit einem Künstler und[165] durch sein gebildetes Organ anzusehen, dagegen verschwinde für den Kenner und Liebhaber jede andere Betrachtung.

Hofmarschall weiß nur allzusehr, daß man sich wechselseitig nicht überzeugen werde, nur könne er eine Lebensweise niemals billigen, woraus so unerhörte Begebenheiten wie man diesen Tag erlebt, entspringen müßten.

Der Fürst tritt nun mit seiner Geschichte des Prinzen von Parma hervor; nur muß in der Erzählung dem Suchen und Forschen nach dem Bräutigam mehr Breite gegeben werden, so daß der Zuschauer neugierig, ja ungeduldig wird, wo er möge gefunden seyn.

Soviel von dieser Scene. Gelingt sie, so ist der Beyfall dem Stück versichert. Ich wiederhole: daß alles mit Heiterkeit, mit keinem mißwollenden Blick nach irgend einer Seite hin behandelt werden müßte, wie auch der Ausführlichkeit Raum zu geben. Der erste Act des Stücks überhaupt eilt zu sehr und es ist nicht gut, auch nicht nöthig, weil der Zuschauer noch seine volle Geduld beysammen hat.

Hierbey aber wird vorausgesetzt, daß Vorstehendes nur Vorschlag sey, den der Dichter sich erst aneignen, nach Erfahrung Überzeugung, Denkweise bey sich lebendig werden lasse.

Will er das Gesagte benutzen und seine weitere Arbeit mittheilen; so soll es mir angenehm seyn und [166] ich werde sodann über die folgende, so wie über die vorhergehende Scene meine Gedanken eröffnen.

Ich sende das Manuscript zurück mit wenigen Bemerkungen an der Seite dieser gedachten Scene und wünsche, daß es in der Folge mir wieder mitgetheilt werde.

An den übrigen Acten ist wenig zu erinnern. Nur noch ein allgemeines Wort: ein dramatisches Werk zu verfassen, dazu gehört Genie. Am Ende soll die Empfindung, in der Mitte die Vernunft, am Anfange der Verstand vorwalten und alles gleichmäßig durch eine lebhafte Einbildunskraft vorgetragen werden.

Mich geneigtem Andenken empfehlend.

Weimar den 11. December 1825.

J. W. v. Goethe.


Diese Verhandlungen bleiben zwischen uns ein Geheimniß.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Franz von Elsholtz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9447-A