29/8091.

An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Schon längst hätte ich gewünscht Ihre liebe Handschrift einmal wieder zu sehen, jetzt betrübt sie mich durch die Nachricht von einem so langen und schweren Übel. Was soll ich aber sagen, da wir nur zum[196] Wechsel-Leiden auf diese liebe Erde berufen zu seyn scheinen! Auch ich erdulde jetzt, zwar kürzere, aber doch alles mein Unternehmen für eine Zeit lähmende Wehetage. Es ist das katarrhalische Zeug was uns das Klima immer in den Weg wirft! Das mag denn seyn, wir müssen darüber hinaus zu kommen suchen.

Die Zeithefte, die Sie kennen, habe ich sämmtlich gefördert; manche Bogen sind gedruckt, auch derDivan ruckt vor, dem ich, wenn er erscheint, Ihre frühere Gunst wünsche. Das Bibliotheks-Geschäft geht seinen raschen Gang und da jüngere, einsichtige Männer mit eingreifen, habe ich deshalb keine Sorge.

Den 20. Juni kommt unser Fürst. Die Niederkunft der Erbgroßherzogin wird zu gleicher Zeit erwartet. Bis in die erste Hälfte des Juli hinein bin ich gefesselt; dann aber muß ich nach Carlsbad, was ich trotz meines behaupteten Unglaubens endlich für höchst nothwendig halte. Nach dem letzten katarrhalischen Anfall kehre ich leider meine ganze Thätigkeit nur wie mit Besen zusammen.

Meyer bedient sich gegenwärtig, auf dringenden Rath, des Badener Wassers bey Zürich, ich weiß kaum, ob ich ihn hier erwarten werde, und so hat denn freylich der Hoffnungs-Blick auf das Berliner Freundes-Bild ein ziemlich blasses Ansehn. Lassen Sie uns den August erwarten und sehen was uns bestimmt ist.

[197] Sollte es uns aber besser gehen als dem heiligen Apostel? welcher sagt: als ich jung war ging ich wohin ich wollte, jetzt da ich alt bin nöthigt man meine Wege.

Von meinen jungen Leuten dagegen kann ich nur Erfreuliches melden, sie paßten zusammen und wenn sie sich auch nicht liebten. Das dritte Wesen übt seine vermittelnden Kräfte, sie genießen ihre guten Zustände in Weimar, und wünschen nichts mehr, als daß ich sie mir ihnen theilen möchte. Eben besuchen sie mich und grüßen zum schönsten.

Herrn Minister v. Altenstein empfehlen Sie mich zum dringendsten. Von jeher habe ich dessen Einsichten und Antheil, wovon mir so viel zu Gute kam, höchlich verehrt, und es schmerzt mich solchen Winken gegenwärtig nicht folgen zu können. Lassen Sie uns abwarten, was das Spätjahr bringen kann.

Von mannichfacher Thätigkeit in Berlin vernehme ich gar Vieles. Hier sind wichtige Zwecke, bedeutende Mittel und productive Kraft genug um hiernach Plane zu entwerfen, und die Ausführung zu leiten. Möge alles zum besten und erfreulichsten gedeihen.

Da man in der letzten Zeit mit niemand mehr reden mag, so lasse ich einstweilen drucken; wer's liest, nehme es auf, lehne es ab, darüber bleibe ich ganz ruhig. Wenn ich nichts zu sagen hätte, als was den Leuten gefiele, so schwiege ich gewiß ganz [198] und gar stille. Wenn meine Freunde mich nur immer wieder erkennen!

Die Lehre von den entoptischen Farben denke ich im nächsten Hefte abermals um eine Stufe heraufzuheben. Ich habe gar hübsche Analogien gefunden, wodurch sich diese Erscheinung, die erst ganz isolirt dastand, daß man neue Hypothesen ausklügeln mußte, sich immer gelenker und bequemer an das Bekannte schließt. Daß Sie Ihre Arbeiten in diesem Fache nicht fortsetzen konnten, thut mir sehr leid; denn wenn Sie solche nicht bis zu einem Grad zum Abschluß führen, so laufen wir Gefahr daß sie sich in's allgemeine verlieren und ohne Dank aufgespeist werden. Je länger man sich in diesem wissenschaftlichen Wesen und Treiben umsieht, je weniger darf man hoffen, daß irgend etwas zusammentreffendes, zusammenbrennendes sich sobald zeigen werde. Jedermann urtheilt nach andern Prämissen, oder urtheilt anders nach ebendenselben.

und so fort und für ewig.

Jena den 8. Juni 1818.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9566-B