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An Margaretha Schlosser
Die löbliche alte Gewohnheit sich bey'm Jahreswechsel Gönnern und Freunden zu empfehlen, wird zwar in der neuen Zeit weniger beobachtet, ich kann aber doch niemals unterlassen, in diesen Tagen die Schulposten des vergangenen Jahrs zu recapituliren, und, wenn ich sie nicht abtragen kann, mich wenigstens dazu zu bekennen, und um Stundung zu bitten.
In einem solchen Fall bin ich mit Ihnen, verehrte[123] Frau, und ich habe nur bisher etwas zu sagen gezaudert, weil ich soviel zu sagen hatte, und auch jetzo ist es mir einigermaßen peinlich, gewisse Saiten zu berühren. Und so muß ich denn vor allem bekennen, daß ich Frankfurt seit einigen Jahren fürchtete und vermied, weil ich meine Mutter daselbst vermissen würde, ohne welche ich mir diese Stadt niemals gedacht hatte.
Wie sehr bin ich Ihnen also, verehrte Frau, den aufrichtigsten Dank schuldig, da Sie mir in Ihrem Hause, an Ihrer Vorsorge, Thätigkeit und Langmuth, nicht sowohl ein Bild desjenigen gaben, was ich verloren hatte, sondern es meinem Gefühl vollkommen ersetzte. Sie haben mich dadurch in meiner Geburtsstadt wieder eingeführt und gegründet, und ich sehe mit froher Hoffnung einem wiederholten Aufenthalt daselbst entgegen, wo ich, ohne Sorge über die Beschwerde, die ich meinen Freunden verursache, ihres Umgangs und ihrer theilnehmenden Förderung genießen dürfte.
Nach diesem aufrichtigen Bekenntniß werden Sie gewiß verzeihen, wenn ich mehreres nicht erwähne; sondern nur mit der Hoffnung schmeichle, daß ich im nächsten Jahre Gelegenheit finden werde, Denenselben irgend etwas Angenehmes, für so vieles Gute, dankbar erwidern zu können.
Verzeihen Sie die fremde Hand, sie liest sich besser als meine, und drückt doch vollkommen die [124] Gesinnungen aus mit welchen mich angelegentlichst empfehle.
Weimar den 30. Decbr. 1814.
Goethe.