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An Sulpiz Boisserée

Ihr lieber Brief kommt mir in dem Augenblick zu, als ich ein Paquetchen zusammen mache an Sie zu senden. Den guten Gedanken hätt ich vor soviel Wochen haben sollen und doch kommt vielleicht das Büchlein jetzt gelegener als damals. – So lernt man sich über Versäumniß trösten, manchmal spricht der Erfolg zu. Auf Eycks drey Könige freue ich mich, sie werden sich gewiß neben dem Hinscheiden Maria's, welches uns immer noch als ein unbegreifliches Kunstwerk erscheint, mit Ehren sehen lassen.

Die Zahlung folgt gleich nach der Ankunft; sie geschieht aus meiner Casse, auf welche manche Obliegenheiten seit dem Tode unsres alten Herrn übergegangen sind.

Ihre wenigen Reisezeilen möchte ich sogleich in's Chaos geben. Dagegen folgen aber auch die bisher Ausgefertigten Blätter. Ich begünstige das wunderliche Unternehmen, da es die Societät geistreich anregt und Unterhält.

Warten Sie aber ja nicht, mein Theuerster, auf irgend einen Augenblick von Aisance und Zufriedenheit, um jene liebenswürdigen Reisebilder zurückzurufen und sie niederzuzeichen. Hier muß der kategorische Imperativ eintreten, um sowohl Gleichgültigkeit als Widerwillen zu überwinden.

[94] Ihnen darf ich es bekennen: in widerwärtigen Situation, anstatt mich abzumüden, nahm ich den Abschluß des Dr. Faustus vor. Ich durfte nicht hinter mir selbst beiden und mußte also über mich selbst hinausgehen und mich in einen Zustand versetzen und erhalten, wo der Tag mit seinen Seiten mir ganz niederträchtig erschien. Nun darf ich sagen daß mir das Gewonnene Lust und Freude macht, ein Nächstens ebenmäßig anzugreifen.

So bin ich denn an den vierten Band meiner biographischen Versuche gelangt. Das was seit vielen Jahren vorlag, verdiente wohl gestaltet zu werden. Und so fahr ich auch hier fort bey niederem und hohem Barometerstand der Lebensatmosphäre. Folgen Sie dem guten Beyspiel und lassen Sie es uns genießen.

Dabey glauben Sie ja, daß, indem ich Ihre Kunstblätter wiederholt betrachte, ich im Tiefsten fühle was es heißen wollte, diese werke zu Stande zu bringen. Brauch ich doch bey meinen Hervorbringenden keine fremde Technik! und Sie suchen und bilden zu den Ihrigen das vollkommenste, mit der Kunst unmittelbar verbundene Handwerk hervor. Lassen Sie mich dieses kaum Auszusprechende hier mit Zutrauen wenigstens andeuten.

Die von dem zu früh verstorbenen Longhi ausgefertigte Chalkographie ich Ihnen, bey Ihrer Nähe von Italien, wohl schon zugekommen. Mir nimmt [95] dieß Werk den Dilettanten-Schleyer auf einmal von den Augen weg und ich begreife deutlich, daß ich einen Kupferstich niemals eigentlich eingesehen habe. Nun finde ich erst, was für kostbare, von dem trefflichen Mann so hochgeschätzte Werke ich selbst besitze, muß aber doch erst suchen, meinen vorigen Zustand mir dem gegenwärtigen in Harmonie zu bringen. Sonst erfreut ich mich am einem Geglückten Ganzen, jetzt erfahr ich von nothwendigen Strichen und Puncten wodurch es hervorgebracht wird. Wenn ich nicht zu alt bin, um beides zu ergründen und zu genießen, so steht mir auch noch in diesen Regionen eine anmuthige Epoche bevor. Ist es doch hier wie in einem jeden Fache, wo man, nach dem Vergnügen an dem Hervorgebrachten, doch auch gern wissen möchte wie es möglich geworden.

Alles andere Gute was Sie mir zubereiten erwarte mit heiter-thätigen Sinne. Die Gabe des Herrn Kleinschrod könnte mir durch die fahrende Post zusendet werden. Einen höchst vorzüglichen Mann an Herrn Geh. Rath v. Walther habe kennen lernen. Ich kann nicht sagen, welch einen gründlich angenehmen Eindruck mir seine Gegenwart zurückgelassen hat.

So eben wie ich schließe kommen Ihre beiden Sendungen, die Zahlung wird sogleich angeordnet und das kleine Paquetchen an Sie geht ab.

und so fortan!

J. W. v. Goethe.

Weimar den 27. September 1831.


[96] Ein besonderes Blättchen muß ich beylegen, um nicht allzu übereilt auszusprechen, wie es mich glücklich gemacht hat, Ihro Majestät der Königin bey mir aufzuwarten. Es ist mir dadurch eine wahre Wohlthat geworden daß ich eine so würdige, schöne, anmuthige Dame mir nun auch in dem weiten, großen, herrlichen München und Ihro Majestät dem Könige zur Seite denken kann. Möge mir beiderseitige Huld und Gnade immerfort erhalten bleiben.

treu angehörig

Weimar den 27. September 1831.

J. W. v. G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-95EE-A