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An Charlotte von Stein
Zwar vernehm' ich von Knebeln, theuerste Freundinn, daß wir Sie den Donnerstag hier sehen sollen; darauf wollen wir uns nun möglichst vorbereiten und Ihnen hoffentlich leidlos entgegen kommen, aber doch will ich den heutigen Boten nicht ohne ein lange versäumtes Wort abgehen lassen. Von mir war bisher leider nicht viel zu sagen. An die physische Existenz habe ich keine großen Anforderungen; wenn mir es aber auch nicht einmal gelingt geistig thätig zu seyn, indem ich mich in die Wüste begebe; so wäre mir eine gewisse Ungeduld wohl zu verzeihn. Indeß nun habe ich's auf die alte Art doch wieder durchgesetzt und es ist mir in diesen Tagen gelungen, an dem Roman fortzuarbeiten der mich durch die gute Aufnahme seiner ersten Hälfte erst wieder werth geworden. Mögen Sie unsrer verehrten Fürstinn sagen, daß ich, indem ich mir jene Wirkungen zurückrief, die dasjenige hervorgebracht hatten, was schon auf dem Papier fixirt war, mir den Muth und die Freude geben konnte das übrige was noch zwischen Seyn und Nichtseyn schwebte, hervorzurufen und festzuhalten. So viel habe ich mir fest vorgesetzt: ich will alles abweisen und vermeiden was mich hindern könnte das angefangene zu Stand zu bringen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie von dem ausschließlich unterhalte was mich jetzt interessirt. Ein[340] künftiges Interesse hängt vom gegenwärtigen ab. Wenn Sie herüberkommen, sollen Sie dafür blos mannigfaltig grünende Thäler sehen. Die wenigen Blüthen dieses Jahres sind vorüber. Gestern mit einer Gelegenheit schickte ich Ihnen ein Gedicht, gedruckt, das Sie früher wohl schon geschrieben kannten. Ich will keine Reflexion hinzufügen, daß die Poesie zu einer Zeit, wo so ungeheure Thaten geschehen, sich gegen die naivgroße Handlung eines Bauermädchens flüchtet – und da die Seite herunter ist, will ich mich auf Wiedersehen zum besten empfohlen haben.
Jena den 30. May 1809.
Goethe.