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An Johann Jacob und Marianne von Willemer

In diesen Tagen hab ich dem guten Dr. Eckermann, einem treuen Haus- und Studienfreunde, der meinen Sohn bis Genua begleitete und von da wieder zurückkehrte, ein Blättchen an meine theuren Freunde gesendet, bin aber zweifelhaft, ob er dort angekommen, und, wenn er ankam, ob er die paar Worte abgegeben hat. Junge Leute sind wunderlich, waren wir's doch auch.

Hundertmal sind meine Gedanken bey Ihnen gewesen; nun aber find ich einen ruhigen Augenblick, der mich befähigt es auszusprechen. Das gewaltige Pariser Erdbeben, das ganz Europa erschütterte, nöthigt einen jeden nach seinen Mauern zu sehen, ob nichts reißt, und nach seinen Dächern, ob nichts den Einsturz droht.

Auch uns sind die Unruhen nahe genug gerückt; bis Jena muß ich bekennen. Doch hat sich alles, ohne bedeutenden Schaden, durch ernste Vorsicht und mäßige Vorkehrungen in's Gleiche gestellt. Alsobald will ich daher für das liebenswürdige Andenken und die wiederholten Sendungen zum schönsten danken, die ich mit Freunden und Kindern als seltene Gaben heiter genießen kann.

Möge die Witterung, in jenen freyen Gegenden, Ihre Sommer- und Herbsttage besser begünstigt haben, [280] als uns im hügelreichen Thüringen. Nur sparsam konnte man irgend einer Gartenanmuth genießen, nur selten eine Landpartiewagen; doch muß ich gestehen, mir ist in meinem Hause viel Erfreuliches geworden, vielfache Sendung von alten und neuern Kunstwerken, da ich denn auch noch des anmuthigen Frauenpaars zu gedenken habe, welches mir zum 28. August gar liebenswürdig erschien.

Meine werthen Frankfurter Freunde haben mich mit bedeutenden Gaben überrascht: einem geschmackvoll bedeutenden Becher mit würdigem Weine.

Unter den Theilnehmern, die mir verrathen wurden, befindet sich auch Herr Burgemeister Thomas, der Ihnen so nah steht, daß ein freundliches Wort durch Sie am wärmsten zu ihm gelangen kann. Sagen Sie ihm ausdrücklich, damit es auch die übrigen Freunde vernehmen, wie sehr mich dieses Andenken erfreut hat, und wenn es gleich meinem Alter nicht mehr zuträglich seyn will aus solchen Pokalen bescheid zu thun, so ist es doch ein angenehmer Anblick die rüstigen und muntern Jüngern, auch nur durch ein bescheidenes Nippen, zur Fröhlichkeit aufzufordern.

Ferner darf ich auch wohl unter die günstigen Ereignisse der vergangenen Monate zählen, daß ich von werthen alten Freunden und sonst würdigen Personen fleißig besucht worden, wodurch man zum Gefühl kommt, daß Zeit und Raum immer mehr in's Enge gebracht wird. Ein junger Mann, der vor acht Tagen [281] aus London abging, im Norden von Deutschland gute Geschäfte gemacht hatte, nach Verlauf einer Woche also bey mir eintraf, und flugs wieder zu Hause seyn wollte, gab mir einen recht deutlichen Begriff wie es jetzt in der Welt schnell hergeht. Sowie die höchsten Gebirge gleichfalls leicht meabel sind, und man jetzt in offener Kalesche bequem dahin fährt, wo wir mühseligen Fußgänger, mit Maulthieren um die Wette mühselig steigen mußten und, in den Tiefen neben an, vom Wasserschaum bespritzt Drachenhöhlen zu befürchten hatten.

Leider sind diese Lichtigkeiten der Bewegung nicht in die Jahre meiner Mobilität gefallen, sonst hätten die Freunde, an den sonnigen Ufern des Maynstroms, mich diese Jahre her gar öfters eintreffen sehen. Und so fort an aus der Ferne treu angehörig

Weimar den 8. October 1830.

J. W. v. Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1830. An Johann Jacob und Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-965F-6