21/5963.
An Charlotte von Schiller
Es gehört eine Überwindung dazu, liebe theilnehmende Freundinn, wenn man nach langem Schweigen wieder einmal sich äußern soll. Ihre guten Worte fordern mich indessen auf und ich kann nicht ganz stumm bleiben.
Wir haben diese Zeit her ganz eigentlich gemühet, getrieben das was gethan seyn mußte und weiter keine Freude daran gehabt als daß es gethan war. So gingen die schönen und mitunter sehr schönen Tage hin, ohne innere Belohnung und ohne Hoffnung einer äußern.
Dabey zeigte sich noch etwas sehr Bedenkliches, was aber, wie mich durch eine einsamkrittliche Hypochondrie erzeugt wird. Mir erscheinen nämlich nicht allein das Publicum, sondern auch Gönner, Freunde, Freundinnen, selbst die nächsten, immer unter jener Gestalt des Tyrannen, der den Becher so lange in den Strudel wirft bis der arme Taucher zugleich mit dem Becher ausbleibt.
Da ich mir ein so kühnes Gleichniß erlaubt habe; so verzeihen Sie mir gewiß, wenn ich nur weniges[248] hinzufüge. Was zunächst hier zu thun ist, beschäftigt uns noch einige Wochen; dann will ich möglichst eilen, nach Carlsbad zu kommen, weil mein jetziger leidlich behaglicher Zustand doch nur ein Scheinwesen ist, das ehe man sich's versieht, in eine sehr unerfreuliche Wirklichkeit umschlagen kann.
Indessen muß ich nothwendig noch einmal meine Weimarischen Lieben besuchen und sehen: denn ich finde höchst nöthig mich von gewissen hypochondrischen Einflüssen zu befreyen. Denken Sie einmal, daß mir seit einiger Zeit nichts mehr Vergnügen macht, als Gedichte zu schreiben, die man nicht vorlesen kann! Das ist denn doch, wenn man's genau besieht, ein pathologischer Zustand, von dem man sich je eher je lieber befreyen soll. Leben Sie recht wohl, gedenken und verzeihen Sie.
Jena den 27. April 1810.
G.