37/115
An Christoph Ludwig Friedrich Schultz
Ihr lieber Brief, Theurer, Verehrter, durch Hensel kommt mir zu guter Stunde, heute am 30. Juli, wo wir des schönsten Wetters genießen. Das Verlangen, mein Porträt von des jungen geschickten Malers Hand zu sehen, ward auch vom Herrn Wolff ausgesprochen, und ich bereit, es zu erfüllen. Leider gelang es nicht, welches ich mir folgendermaßen erkläre. Hensel ist zu sehr gewöhnt, in geselligen Cirkeln Ähnlichkeiten aufzufassen und sie skizzenhaft anmuthig vorzutragen, weswegen er im gegenwärtigen Falle nicht genug Sorgfalt auf den Umriß wendete, wobey mir gleich angst ward. Wie er nun die Ausführung der einzelnen Theile vornahm, erschien ein ganz anderer Mensch, der wenig Ähnlichkeit mit mir hatte. Unglücklicherweise kam die Fürstin Hohenzollern dazu, die ihn durch allerlei Belehrungen und Andeutungen zerstreute, [177] so daß er sein Werk endlich selbst mit Mißvergnügen ansah.
Kurz vorher hatte ich einem russischen, in Rom und Paris gebildeten Maler, der gut dachte und geschickt arbeitete, mehrere Stunden gesessen, welchem denn glückte, jedermann zufrieden zu stellen; auch den Großherzog, dem nicht leicht etwas in dieser Art genügt. Dieser denkt nach Berlin zu kommen und heißt Kiprinsky.
Die vier ersten Wochen der Cur sind, mit abwechselnder Witterung, glücklich und froh vorüber gegangen; schöne Wohnungen, liebenswürdige Nachbarschaft, vertraulicher Umgang, mit mehrjährigen Freunden und neuen Bekannten. Graf v. St. Leu ist auch hier zu meiner großen Freude. Mit einem Acteur der Weltgeschichte, der zugleich so ein guter und hochgebildeter Mann ist, gesellig, umzugehen, wirkt im höchsten Grade belehrend und anfrischend. Hab ich das Glück Sie zu sehen, so wird auch von ihm viel zu reden seyn..
Den 9. August 1823.
Heute ging der Großherzog von hier ab mit vor theilhaft gebrauchter Cur, doch hätt es noch besser seyn können, wenn er sie regelmäßiger und anhaltender genutzt hätte. Er wird nach Berlin kommen, um den Manövers beyzuwohnen.
Der Geburstag Ihres Königs ist vielfach, besonders auch in unserm Kreise froh gemüthlich begangen worden.
[178] Daß Sie meinen naturhistorischen Arbeiten näher getreten, sie noch lebhafter in sich aufgenommen, thut mir sehr wohl. Ich weiß daß diese sonderbaren Erzeugnissen eines sonderbaren Menschen sich nicht leicht in einem andern Geiste völlig zusammenhängend nach der ursprünglichen Reihenfolge wieder abspiegeln können; deswegen die Wirkung schon höchst erfreulich ist, wenn in dem Theilnehmenden, dessen einiges Grundprincip aufgeregt wird, nach individueller Art und Weise sich seine Welt daraus hervorthut, wodurch denn gewiß eine Annäherung an die meinige sich ergeben muß. Das allgemein Menschliche entwickelt sich aus jedem edlen Gemüth, das mit Ruhe auf sich wirken läßt und aus sich selbst heraus wirkt.
Eckermann ist in Jena und arbeitet schon in meinen Papieren, wie ich aus einer Probe sehe, mit Sinn und Verstand; ich werde suchen ihn fest zu halten, um die nächsten Monate weiter vorzurücken, welches immer schneller gehen wird, je mehr er sich mit dem Vorrath bekannt macht. Er ist übrigens mit meiner Denkweise so vertraut, daß er das Geschäft dem Sinne nach eben so gut und der Ausführung nach besser als ich selbst leisten dürfte.
Doctor Schultz sandte mir seine Arbeit, in die ich hinein gesehen habe und gerade die Stelle der Saftcirculation fand, von der Sie sprechen; sobald ich wieder in die hesperischen Gärten zurückkehre, werd ich mich ernstlich mit seinen Fortschritten beschäftigen.
[179] Ein von Leinwand auf Leinwand zu übertragendes Bild sende nächstens, wenn auch nicht von Werth, doch zum Versuch und Vergleichung.
Hier in Marienbad würden Sie sich diesen Monat sehr gefallen haben; nun zeigen sich neue Gäste, wir aber haben schon allen Antheil ausgegeben, und wer ihn empfing, nimmt ihn mit sich fort. Vom 20. denk ich in Eger zu verweilen, am Schluß des Monats zwischen Weimar und Jena; wie sollten Sie willkommen seyn! Mehr oder weniger bedeutende Menschen hab ich gesprochen und ein wunderliches Resultat herausgezogen: ihr Hauptstreben ist eine unmögliche Synthese, in der sie sich abquälen, die Verständigsten wie die Unverständigsten; Tod und Leben, Regiment und Freyheit, Meisterschaft und Bequemlichkeit, Leidenschaft und Dauer, Gewalt und Sittlichkeit pp., das soll vereinigt zur Erscheinung kommen. Ich sage nichts weiter, den Commentar machen Sie selbst, er wird uns manche Stunde beschäftigen.
Möge doch der Sommer Ihnen soviel Kraft und Lebenslust verliehen haben, daß Sie Ihre Reise zu uns in der Hälfte Septembers anzutreten sich geneigt fühlen; vieles, vieles hab ich mitzutheilen, Gethanes und Werdendes. Gern sendete ich das neuste Heft der Morphologie pp.; es ist aber noch kein vollständig Exemplar bis zu mir gekommen.
Den Aufsatz, dessen Sie erwähnen, senden Sie ja baldigst, den Nachtrag meyn ich zu dem Phosphor [180] im Auge; er kann im nächsten Hefte gar wohl abgedruckt werden und mir noch vorher besondere Dienste leisten; denn ich werde nunmehr einer weitläufigen Auszug aus Purkinje mit meinen Noten in's Engere bringen, wo ich gleichfalls vom Organischen bis zum höchsten Psychischen hinaussteige, und da kann ich denn durch das, was Sie auf Ihrem Wege entwickeln, höchlich gefördert werden, vielleicht einen Theil meiner Vorarbeit völlig entbehren.
Schubarth grüßen Sie wiederholt und sagen mir etwas von seiner ökonomischen Lage; ich war manchmal unzufrieden hie und da mit seinen Productionen, allzuscharf macht schartig, sagt ich mir. Vor kurzem hab ich wieder einiges von ihm nachgelesen, es ist jedenfalls ein höchst vorzüglicher Mann der noch viel Gutes und Echtes wirken wird, Ihrer Theilnahme vollkommen werth.
Die Methode, das Barometer als hauptwirksam bey allen atmosphärischen Erscheinungen anzusehen, hat mir sehr gefruchtet, ja mich beynahe übermäßig in diesem Fache beschäftigt. Außer dem, was das neuste Heft bringen wird, erfahren Sie noch manches sehr Erfreuliche; wenn man eigensinnig auf diesem Mittelpunct verharrt, so sieht man nach allen Seiten gar sicher hin; schon hab ich über den Einfluß der Jahrszeit und der damit zusammenhängenden Wärme mir fruchtbare Gedanken entwickelt und konnte das Bedingende der Örtlichkeit auf diesem hohen Standpuncte, [181] in der Nachbarschaft von dem sich weit erstreckenden Böhmer-Wald gar wohl beobachten und merken der Winter wird Zeit geben, das alles methodisch zu redigiren.
Nicht weniger bin ich im Geognostischen den streitigen Puncten näher gerückt. Auch da muß man sich lossagen von allem äußeren menschlichen Einfluß, nur genau acht geben auf alte bedeutende Stimme aus der Wüste. Die neuere Zeit ist in ihrem Unsinn versunken und wird sich schwerlich daraus retten, weil sie sich allzusanft gebettet fühlt; anstatt daß wir andere, die wir mit Mühe und Anstregung begonnen, auch so zu endigen genöthigt sind.
Und so kann ich noch das letzte Blatt mit Erfreulichem und Würdigem abschließen.
Madame Milder hab ich singen hören, im engen Kreise, kleine Lieder, die sie groß zu machen verstand; es ist auch gut, daß man vergleichen Musterstücke nur unerwartet vernimmt.
Madame Szymanovska, ein weiblicher Hummel mit der leichten polnischen Facilität, hat mir diese letzten Tage höchst erfreulich gemacht; hinter der polnischen Liebenswürdigkeit stand das größte Talent gleichsam nur als Folie oder, wenn Sie wollen umgekehrt. Das Talent würde einen erdrücken, wenn es ihre Anmuth nicht verzeihlich machte. Sie kommt nach Berlin.
[182]
Zu Ablehnung des Vorwurfs,
als wenn ich mich zu viel mit dem Himmel abgäbe
und die Erde vernachlässige.
treulichst
J. W. v. Goethe. [183]