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An Carl Friedrich Zelter

Alfred Nicolovius, welcher sich eben hier befindet, hat nicht verfehlt, mir jene häßliche Novelle in ihren Einzelnheiten vorzutragen, die du nach meiner Überzeugung vollkommen einsichtig lakonisch darstellst.

In meiner Biographie muß eine Stelle vorkommen, wo ich ausspreche welche bange Wirkung mir, dem Jüngling, die Entdeckung solcher unterschwornen und so übertünchten Familienverhältnisse gemacht; du hast ganz Recht, daß solcher Art manches im Finstern dahinschleicht, bis einmal der Zufall oder wie hier eine Art Wahnsinn das Ungebührliche an's Licht schleppt. Daß unser Bedauern dem Unheil gleich sey[147] bist du überzeugt. Habe Dank, daß du durch anmuthige Relation die Anmuth der zierlichen Sängerin auch mir hast vergegenwärtigen wollen; mein Ohr ist dieser Genüsse längst entwöhnt, der Geist aber bleibt für sie empfänglich. Die neuliche Vorstellung der Zauberflöte ist mir übel bekommen, früher war ich empfänglicher für dergleichen, wenn auch die Vorstellungen vielleicht nicht besser waren. Nun kamen zwey Unvollkommenheiten, eine innere und äußere, zur Sprache, Anregungen wie das Anschlagen einer Glocke die einen Sprung hat. Gar wunderlich; wollte ja auch die Wiederholung deiner geliebten Lieder nicht gelingen! Es ist besser, dergleichen zu ertragen als viel davon zu reden oder gar zu schreiben.

Dagegen fährt die bildende Kunst, besonders die plastische, immer fort, mich glücklich zu machen. Die Abbildungen der Stoschischen Sammlung unterhalten mich auf's beste, auch Herrn Beuths höchst gefällige Sendungen dienen mir und Meyern zu den Besten Entwickelungs- und Belehrungsgesprächen. Wir stellen ein Heft Kunst und Alterthum zusammen, wobey ich denn immer auch zunächst für dich zu arbeiten gedenke.

Die nähere Bekanntschaft mit Zahn und seinen Arbeiten wird dir gewiß heilsam und ersprießlich seyn; ich für meine Person bin in dem Falle, daß mich das Anschauen des Alterthums in jedem seiner Reste in den Zustand versetzt, worin ich fühle ein Mensch zu seyn.

[148] Bey dem herzlichsten Wunsche, daß deiner Louise Mißgeschick erst durch Linderung möge gebessert und sodann durch Jugendkraft wieder hergestellt werden, erwarte sehnlichst die Relation des Dr. Leo. Einige Recensionen von ihm in der Hegelischen Zeitschrift haben mir von ihm ein gutes Zeugniß gegeben.

Vorstehendes lag einige Zeit. Nun kommt dein Werthes vom 30. October und so mag dieses Papier nicht länger harren.

In meinem Hause leidet die Mutter, wie herkömmlich, an manchen Nachwehen, an Verschiedenen, in Übles und Böses umschlagenden Naturnothwendigkeiten. Das schöne Kind gedeiht. Ich fahre fort, an Faust zu schreiben, wie es die beste Stunde gibt. Sonst ist mir manche literarische Neuigkeit zugekommen, die mich aufregt, in Kunst und Alterthum etwas darüber zu sagen. Wie ich denn überhaupt dem nächsten Stücke einen besonderen Ton und eigne Behandlung der Dinge zu geben gedenke.

Auch recht hübsche Zeichnungen, um mäßigen Preis, sind mir zugekommen und ich erwarte eine Sendung Majolika von Nürnberg; dieß ist eine Art Thorheit, in die mein Sohn mit einstimmt. Indessen gibt die Gegenwart dieser Schüsseln, Teller und Gefäße einen Eindruck von tüchtig-frohem Leben, das eine Erbschaft großer mächtiger Kunst verschwendet. Und wie man denn doch gern mit Verschwendern lebt, die sich und uns das Leben leicht machen, ohne viel zu [149] fragen, woher es kam und wohin es geht; so sind diese Dinge, wenn man sie in Masse vor sich sieht, von der allerlustigsten Bedeutung. Wie kümmerlich sind dagegen unsere Porcellanservice, auf denen man Blumen, Gegenden und Heldenthaten zu sehen hat; sie geben keinen Totaleindruck und erinnern immer nur an Botanik, Topographie und Kriegsgeschichte, die ich nur im Garten, aus Reisen und [in] müßigen Stunden lieben mag. Du siehst, wie man seine Thorheiten zu beschönigen weiß, gepriesen aber sey jede Thorheit, die uns dergleichen unschädlichen Genuß verleiht.

Möge denn auch dieses Blatt den Weg antretenden ich so gerne selbst zurücklegte, und dich zu baldigem Erwidern freundlichst aufregen.

So sey und gescheh es

Weimar den 6. November 1827.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9856-6