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An Joseph Carl Stieler

Manchmal, werthester Mann, mach ich mir Vorwürfe, daß ich Sie um dieses oder jenes Geschäft ersuche und Sie von Ihren wahrhaft würdigen und allgemein erfreulichen Arbeiten auch nur auf einen Augenblick abziehe; aber Ihre Gefälligkeit gibt mir hiezu Muth und eine so lang genossene Unterhaltung frischen Antrieb.

Erlauben Sie also, daß ich auf einem beyliegenden Blättchen Herrn Nickel, den geschickten Optiker, um die Fertigung des bewußten Instrumentes ersuche.

Bleiben Sie überzeugt, daß ich gar oft meine Unterhaltung mit Ihnen zu erneuern wünsche. Mit dem praktischen Künstler ist am besten sprechen, denn das Wahre bewahrheitet sich sogleich an der That. Daß Sie meiner Farbenlehre fortgesetzte Aufmerksamkeit gönnen, freut mich sehr; sie enthält nichts, als was Sie Ihre Lebzeit über gethan haben und thun; wenn Sie sich genau bekannt machen, so werden Sie finden, wie leicht das Ganze zu fassen sey. Nehmen Sie, wie Sie thun, dasjenige zuerst auf, was Sie anmuthen, das Übrige lassen Sie liegen, bis es Sie irgend einmal aufsucht und sich aufdringt. Ich habe mich vierzig Jahre mit dieser Angelegenheit beschäftigt und zwey Octavbände mit der größten Sorgfalt geschrieben; da ist es denn auch wohl billig, [135] daß man diesen einige Zeit und Aufmerksamkeit schenke. Den Mathematiko-Optikern verzeih ich gern, daß sie nichts davon wissen wollen, ihr Geschäft ist in diesem Fache blos negativ; wenn sie die Farbe aus ihren schätzbaren Objectiv-Gläsern los sind, so fragen sie weiter nicht darnach, ob es einen Mahler, Färber, einen die Atmosphäre und die bunte Welt mit Freyheit betrachtenden Physiker, ein hübsches Mädchen, das sich ihrem Teint gemäß putzen will, ob's diese in der Welt gibt, darum bekümmern sie sich nicht; denn freylich die Ehre, den Astronomen den Weg zu den Doppelsternen eröffnet zu haben, ist bedeutend genug. Dagegen lassen wir uns das Recht nicht nehmen, die Farbe in allen ihren Vorkommnissen und Bedeutungen zu bewundern, zu lieben und wo möglich zu erforschen.

Ist mir doch, indem ich dieses dictire, als wenn Sie mich wieder auf den Stuhl gebannt und mit freundlicher künstlerischen Thun zu angenehmer Unterhaltung gefesselt hätten.

Hieraus können Sie sehen, wie gern ich mich recht in die Mitte von München wünschte. Die Hoffnung, von Ihro Majestät großer gesegneter und unermüdeter Thätigkeit unmittelbar zu vernehmen, mit den tiefdenkenden und frohwirkenden Männern mich zu unterhalten, mich und mein Bestreben gefördert und gesteigert zu sehen, würde mir eine wahre Glückseligkeit bereiten.

[136] Gerade jetzt habe ich Herrn v. Cornelius für eine höchst bedeutende Gabe zu danken, Herrn v. Martius die Verfolgung eines Gedankens, den er mir eingeimpft hat, vorzutragen, und von beiden schnellere Förderung zu erbitten; dieß wird mir aber aus der Ferne, da ich meine Gedanken nicht immer gerade auf solche bestimmte Puncte wenden könnte, besonders in dem Augenblicke ganz unmöglich. Suchen Sie mir Verzeihung vorzubereiten. Das Manuscript zu der fünften Lieferung meiner Werke ist noch nicht völlig nach Augsburg abgegangen; Sie werden darin drey erneute, ja neue Bändchen finden, die ich ungern vom Herzen loslasse; da es aber seyn muß, in Hoffnung lebe, daß sie wieder zu Herzen gelangen werden.

Gar manches Andere, besonders auch das Porträt Betreffende verspare bis zum nächstenmale.

treu gedenkend

Weimar den 26. Januar 1829.

J. W. v. Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Joseph Carl Stieler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9925-8