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An Johanna Schopenhauer
Hierbey folgt, wertheste Freundin, ein Vorschlag, wie der irdische Raum zwischen den beyden himmlischen Figuren auszufüllen und ihre Umgebung zu bezeichnen seyn möchte. Sie werden die zarten Strichlein lesen und ihnen, durch eine kräftige und geschmackvolle Ausführung, erst den rechten Werth geben. Ich füge noch so viel hinzu. Der Himmel, von des Engels Seite am hellsten, deutet auf einen klaren Sonnentag, in dessen Äther sich die Heiligenscheine angenehm verflössen, ganz hinten ist eine blaue Ferne vorausgesetzt, an Schloß und Felsen bemerkt man schon eine gelbliche Localfarbe, der nähere Wald könnte mit mancherley Grün mehr warm als kalt, vielleicht hie und da etwas röthlich belebt werden. Ganz vorne ist eine Brustlehne supponirt die, aus zusammengebundenen Rohren bestehend, mit Vinia, oder einem ähnlichen Gesträuch überzogen wäre, hier wären blaugrüne, nicht allzugroße Blätter, und blaue violettliche Blumen am Orte. Dieses alles, sowie den theils angegebene, theils angedeuteten Weinstock, werden Sie, meine kunstreiche Freundin, mit mehr Geschmack im Einzelnen ausführen, als es hier entworfen werden konnte. Vielleicht kommt unter der Arbeit ein besserer Gedanke. Schließlich kann ich zu bemerken nicht unterlassen: [162] daß ich die große Richtigkeit bewundert habe, mit der Sie die Umrisse beyder Figuren gezeichnet und, völlig den Charakter der Bilder ausdruckend, in's Kleine gebracht haben.
Mich bestens zu geneigtem Wohlwollen empfehlend
Weimar den 18. Februar
J. W. v. Goethe.