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An Johann Jacob von Willemer

Ich mache mir schon eine Zeitlang Vorwürfe daß ich, in einem Anfall von Humor, welches mir nicht leicht begegnet, eine halbverdrießliche und zugleich nicht wohl zu erklärende Stelle in meinem Briefe einfließen ließ. Ich hoffe deshalb Verzeihung, weil man ja doch manchmal im Augenblick, wo man an Entfernte denkt, von gegenwärtigen nahen Verhältnissen unerfreulich berührt wird.

Das Resultat worauf jene Zeilen hindeuten ist nun wohl: daß ich mich gegen Ende Juli noch in Weimar befinde und schwerlich dieses Jahr mich daraus entfernen werde. Ich bin in meinen Garten am Park gezogen, und lebe da in continentaler, durch die schmächtige Ilm ruhig bewässerter, Wiesen-Wälder- und Buscheinsamkeit, indessen die Freunde in einer weiten Gegend, durch den kräftige vorbeyfließenden Strom, jeden Augenblick erinnert werden daß sie mit dem Ocean zusammenhängen, und daß es nur auf sie ankommt ob sie die bewegtesten und lebendigsten Räume der Welt, vermittelst Dunst und Welle besuchen und beschauen wollen.

Meine Gedanken sind oft bey Ihnen, und, ob gleich der neue Schmuck der mir, in den frühern Zuständen, so werthen Mühlenräume sich nicht so leicht vergegenwärtigen läßt, so verweil ich doch oft daselbst[24] und, was mehr ist, aufmerksam auf Einzelnes; da ich denn zur Frage gelange: ob die so seltsam sich vermehrende Pflanze noch am Leben geblieben und durch ihre Gegenwart auch der abwesend Freunde fortdauerndes Leben, Wirken und Lieben täglich vor Augen stellt? Könnt ich hören daß sie sogar zur Blüte gekommen, welches in jenem Klima wohl geschehen müßte, so würde mir's noch mehr Freunde bringen.

Vernehm ich daß man sich aus den letzten Lieferungen meiner Werke etwas besonders hätte zueignen können, so wird es demjenigen wohl thun der durch diese Bemühungen ganz allein noch mit entfernten Freunden eine herzlich geistreiche Verbindung lebendig erhalten kann. Wie denn unter meine mäßigen Wünsche auch der gehört, daß ich ein vollständig- anständiges Exemplar, nach Verlauf weniger Termine, den geliebten und verehrten Freunden zum Andenken hinstellen könne.

Eine sehr angenehme Zufälligkeit brachte mir in dem Augenblick als das vollständige Tagebuch zu mir gelangte das wohlgearbeitete Werk von Jakob Meyer, die Bergstraße durch den Canton Graubündten betitelt, vor die Augen welches, wenn es mich auch die Freunde nicht überall hinbegleiten läßt, mir doch Gelegenheit gibt ihnen, hin und wieder, an merkwürdigen Stellen zu begegnen. Da ich denn auch wohl einmal ein vertrauliches Paar im zweysitzigen Wäglein begrüße [25] und mein Verlangen genauerer Ansichten und Annäherungen dadurch einigermaßen beschwichtigt wird. Die landschaftlichen Darstellungen sind wirklich allerliebst, mit malerischen Verstand im genauesten Detail aufgenommen, auch gar effectreich an Haltung und Colorit, welches mir denn zu ganz vielfachem Vergnügen, bey Recapitulation jenes lieben Tagebuch zu statten kommt.

Dies möge nun hinreichenden theuren Freunden meine Zustände einigermaßen zu vergegenwärtigen, und finden sie sich dadurch zu baldiger Erwiderung bewogen, so wird ich nur immer froher und verpflichteter mich jederzeit nennen und unterzeichnen.

den treu anhänglichsten

Im Garten am Park

J. W. v. Goethe.

Weimar den 28. Juli 1829.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A0C-9