4/971.

An Charlotte von Stein

[24. Juni.]

An dem unsäglichen Verlangen Sie wieder zu sehen fühl ich erst wie ich Sie liebe. Die Sachen hängen wunderlich in dem Menschen zusammen. Diese Sehnsucht nach Ihnen trifft auf eben die Nerve wo der alte Schmerz, dass ich Sie das erste Jahr in Kochberg nicht sehen durfte, sich verteilt hat, bringt eben die Empfindung hervor, und erinnert mich, wie eine alte Melodie, iener Zeit.

Noch wart ich auf einen Brief von Ihnen, das Zettelgen hab ich, mit Knebels Brief.

Oeser hat mancherley gutes in Bewegung gesezt. Der erste Ackt der Vögel ist bald fertig. Ich wollte Sie könnten an Platituden so eine Freude haben wie ich, das Stück würde Sie herzlich zu lachen machen.

[238] Ein geringes Geschenck, dem Ansehn nach, wartet auf Sie wenn Sie wiederkommen. Es hat aber das merckwürdige dass ich's nur Einem Frauenzimmer, ein einzigsmal in meinem Leben schencken kan.


d. 26. Jun.

Gestern war ich in Ettersburg und dicktirte der Jöchhausen mit dem lebhaffteften Muthwillen an unsern Vögeln, die Nachrichten von Feuer in Gros Brembach iagte mich fort, und ich war geschwind in den Flammen. Nach so lang trocknem Wetter, bey einem unglücklichen Wind war die Gewalt des Feuers unbändig. Man fühlt da recht wie einzeln man ist, und wie die Menschen doch so viel guten und schicklichen Begriff haben, etwas anzugreifen. Die fatalsten sind dabey, wie immer, die nur sehen was nicht geschieht, und darüber die aufs nothwendige Gerichteten Menschen irre machen. Ich habe ermahnt, gebeten, getröstet, beruhigt, und meine ganze Sorgfalt auf die Kirche gewendet, die noch in Gefahr stund als ich kam und wo ausser dem Gebäude noch viel Frucht die dem Herrn gehört, auf dem Boden zu Grunde gegangen wäre. Voreilige Flucht ist der gröste Schaden bey diesen Gelegenheiten, wenn man sich anstatt zu retten widersezte, man könnte das unglaublige thun. Aber der Mensch ist Mensch und die Flamme ein Ungeheuer. Ich bin noch zu keinem Feuer in seiner ganzen Acktivität gekommen als zu [239] diesem. Nach der Bauart unsrer Dörfer müssen wirs täglich erwarten. Es ist als wenn der Mensch genötigt wäre, einen zierlich und künstlich zusammengebauten Holzstos zu bewohnen, der recht, das Feuer schnell aufzunehmen, zusammen getragen wäre.

Aus dem Teich wollte niemand schöpfen denn vom Winde getrieben schlug die Flamme der nächsten Häuser wirblend hinein. Ich trat dazu und rief es geht es geht ihr Kinder, und gleich waren ihrer wieder da die schöpften, aber bald musst ich meinen Plaz verlassen, weils alllenfalls nur wenig Augenblicke auszuhalten war. Meine Augbrauen sind versengt, und das Wasser in meinen Schuhen siedend hat mir die Zehen gebrüht, ein wenig zu ruhen legt ich mich nach Mitternacht, da alles noch brannte und knisterte im Wirthshaus aufs Bett, und ward von Wanzen heimgesucht und versuchte also manch menschlich Elend und unbequemlichkeit. Der Herzog und der Prinz kamen später, und thaten das ihrige. Einige ganz gewöhnliche und immer unerkanndte Fehler bey solchen Gelegenheiten hab ich bemerckt.

Verzeihen Sie dass ich mit Bildern und Gestalten des Gräuels Sie in Ihre Freuden verfolge. Es fiel mir in der Nacht und denen Flammen ein, wie das Schicksaal wüthet und nun Sicilien wieder bebt und die Berge speyen, und die Engländer ihre eigne Stadt anzünden und das alles im aufgeklärten 18ten Jahrhundert.

[240] Wie ich heut früh hereinritt wie schön wärs gewesen wenn ich Sie hätte zum guten Morgen grüsen können. Adieu Sie müssen nun bald wieder kommen. Adieu liebste.

Die Kinder haben mir Briefgen gebracht.

Grüsen Sie die Imhof und die kleine.

Meine Erdbeeren stehn verlassen, bald schick ich sie da, bald dort hin, es will nirgends hafften.

Clauer macht Oesers Büste recht hübsch.

Meine Rosen blühen bis unters Dach, und solang als das mein Haus deckt, kan nicht ein willkommnerer Gast hineintreten als Sie. Adieu liebste. als ich gestern zum Feuer kam, war das erste dass ich meinen Ring abthat und in die Tasche steckte.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A18-D