25/6914.

An Christiane von Goethe

[Heidelberg, 6. October 1814?]

Sonntag früh d. 2ten, fuhren wir nach Manheim. Der starcke Nordost konnte uns im Fahrhäuschen nichts anhaben und hatte den Himmel ganz rein gefegt. Die schöne Ebne, in der Ferne von Gebirgen begränzt, lag klarest von uns. Ich fuhr mit Boisserée dem älteren und wir gelangten gesprächig zum regelmäßigen Mannheim. Zuerst besuchte ich Herrn v. Luck, dann Frau von Seckendorf, sah bey GehR. Drais ein schönes Bild. Dann mit Luck in den Schloßgarten, der sehr schöne freye Ansichten zeigt. Dürre und kalter Wind machten ihn diesmal weniger angenehm. In dem Gasthof zu den drey Königen zu Tische, die übrigen Gesellen waren auch gekommen. Gegen [48] Abend zu Herrn v. Pfennig, dem Schwiegersohn der Frau von Dalberg, er nahm uns mit ins Schauspiel, wo ein Stück der Frau v. Weissenthurn, Johann von Friedland, uns gewaltig zusetzte. Nach eingenommenen zwey Ackten beurlaubten wir uns und fuhren zurück, da wir denn um ein Uhr bey hellem Mondschein glücklich in Heidelberg wieder angelangten.

Montag d. 3ten, Beschauten wir die Zeichnungen des Cöllner Doms, es sind deren fast so viele fertig als zum Wercke gehören und sehr fürtrefflich. Die Probedrücke der Radierten sind auch lobenswerth. Vor Tische zu Paulus, die Tochter ist ein gar hübsch Frauenzimmerchen geworden, und scheint noch immer ihre Eigenheiten zu bewahren. Der Sohn, klein für sein Alter, ist ein gar munter neckischer Junge. Wir assen zusammen zu Hause, umgeben von trefflichen Kunstwercken. Ich besuchte Voß in seiner Burg und fand ihn wie gewöhnlich. Am Abend, oder vielmehr zu Nacht, wurden einige Bilder die es vorzüglich vertragen, bey Erleuchtung angesehen, da man sich denn über das lebhafte Vortreten derselben verwundern mußte. Alsdann wurden allerley Geschichten erzählt, wie sich manche Zuschauer betragen, da es denn freylich manches zu lachen giebt. Ich ging zeitig zu Bette. Und las erwachend Thibauts kleine Schrift: Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland. Sie läßt, mit großer Sachkenntniß, uns tief in die Übel schauen, ohne [49] sehr die Hoffnung zu beleben daß sie gehoben werden könnten.

Dienstag d. 4ten, lockte uns der völlig klare Morgen, bey leidlicher Ostluft, aufs Schloß, wo wir des angenehmsten Spaziergangs, bey trefflicher Aussicht genossen. Die Gegend sieht Morgens so rein und frisch und Sonntäglich aus daß man nichts friedlicheres dencken kann. Darauf betrachteten wir zu Hause die Risse vieler Kirchen, die vor der Zeit vor Carl dem grosen bis zum Cöllner Dom gebaut worden und meist in Cölln und der Nachbarschaft befindlich sind. Einige leider nunmehr abgetragen. Paulus war bey uns zu Tische. Wir besuchten den Botanischen Garten, fanden die Gärtner beschäftigt ihre Pflanzen vor dem eindringenden Nord zu flüchten, entdeckten einen Kolben WälschKorn durch den Brand wundersam entstellt. Die Körner aufgeschwollen, mit schwarzem Pulver gefüllt. Ich bringe dies seltsame Exemplar in Spiritus mit. Abends zu Hause, unter manigfachen Gesprächen Über Kunst- und Weltgeschichte, auch manches moralische und religiose. – Daß man in Manheim Eurer in Liebe gedacht will ich nachholen.

Mittwoch d. 5ten Octbr. Lockte mich der schönste Sonnenschein früh aufs Schloß, wo ich mich in dem Labyrinth von Ruinen, Terassen und Garten Anlagen ergötzte und die heiterste Gegend abermals zu bewundern Gelegenheit hatte. Als ich eben herabsteigen[50] wollte überraschte mich die Gegenwart des Erbprinzen, den ich sodann zu den Merckwürdigkeiten des Schlosses begleitete. Er besuchte darauf die Sammlung der Boisserées und verlies Heidelberg alsbald. Ein großes Diner von Professoren, Civilbeamten und sonstigen Honorationen im Carlsberg, wozu man mich einlud, war sehr anständig und munter, es wurden Gesundheiten genug getruncken um zuletzt eine allgemeine Munterkeit zu verbreiten. Den Abend brachten wir unter mancherley Gesprächen hin, und so war auch dieser Tag gut angewendet. – Bemercken muß ich hier daß Castanien schon angeschafft worden und, gleich den Stöpfeln, in mancherley Gepäck vertheilt, mit nach Hause geführt werden. Mein nächstes berichtet mehr vom künftigen. Diesmal nur noch ein freundliches Andencken.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9AA6-F