6/1947.

An Charlotte von Stein

[Eisenach] d. 17. Juni 84.

Gestern den 16ten erhielt ich erst deinen liebsten Brief der bis zum 13ten geht. Du wirst nun gewiß auch Briefe von mir haben. Auf einem beyliegenden Zettelgen schreibe ich dir was ich abgeschickt habe.

Da ich die Memoires de Voltaire eben erhalte muß ich dir sie gleich schicken, und es verlangt mich nach schnellerer Nachricht von dir. Ich will einen [301] Boten absenden damit ich gewiß weis daß mein Packt bald in deine Hände kommt.

Wie einsam ich bin werden dir meine Briefe gesagt haben. Ich esse nicht bey Hofe, sehe wenig Menschen, gehe allein spazieren und an iedem schönen Plaz wünsche ich mit dir zu seyn. Ich kann mir nun nicht helfen daß ich dich lieber habe als mir gut ist desto besser wird mir seyn wenn ich dich wiedersehe.

Meine Nähe zu dir fühl ich immer, deine Gegenwart verläßt mich nie. Durch dich habe ich einen Maasstab für alle Frauens ia für alle Menschen, durch deine Liebe einen Maasstab für alles Schicksal. Nicht daß sie mir die übrige Welt verdunckelt, sie macht mir vielmehr die übrige Welt recht klar, ich sehe recht deutlich wie die Menschen sind was sie sinnen wünschen, treiben und geniesen, ich gönne iedem das seinige und freue mich heimlich in der Vergleichung, einen so unzerstörlichen Schatz zu besitzen.

Dir geht es in der Wirthschafft, wie mir manchmal in Geschäfften, man sieht nur die Sachen nicht weil man die Augen nicht hinwenden mag und sobald man die Verhältnisse recht klar sieht haben die Dinge auch bald ein Interesse. Denn der Mensch mag immer gerne mitwürcken, und der Gute gern ordnen, zurechtlegen und die stille Herrschafft des rechten befördern.

Den Elephantenschädel nehm ich mit nach Weimar.

Meine Felsen Spekulationen gehen sehr gut. Ich sehe gar viel mehr als andere die mich manchmal begleiten [302] und auch auf diese Sachen aufmerksam sind, weil ich einige Grundgeseze der Bildung entdeckt habe, die ich als ein Geheimniß behalte und deswegen die Gegenstände leichter beurtheilen kan.

An Wilhelm habe ich nicht weiter geschrieben. Manchmal geh ich das geschriebne durch und arbeite es aus, manchmal bereit ich das folgende. Wenn ich wieder dicktiren kann soll dieses Buch bald fertig seyn.

Unendlich werden dich die Memoires unterhalten. Uns andern die zum Erbtheil keine politische Macht erhalten haben, die nicht geschaffen sind um Reichthümer zu erwerben, ist nichts willkommner als was die Gewalt des Geistes ausbreitet und befestigt. Nun schweig ich auch ganz stille von dem Büchlein um zu hören was andre drüber sagen.

Wenn du es gelesen schick es doch gleich an Herdern mit Bitte es noch geheim zu halten.

Fritz ist glücklich und gut. Er wird ohne es zu mercken in die Welt hineingeführt und wird damit bekannt seyn ohne es zu wissen. Er spielt noch mit allem, gestern lies ich ihn Suppliquen lesen und sie mir referiren. Er wollte sich zu Todte lachen, und gar nicht glauben daß Menschen so übel dran seyn könnten wie es die bittenden vorstellen.

Adieu du tausendmal Geliebte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9C2E-F