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An Friedrich Heinrich Jacobi

W. d. 27. Dec. 1794.

Am sichersten ists, mein Bester, ich setze mich gleich nach Empfang deines Briefes hin und fange wenigstens an dir zu antworten und sage dir vor allem Danck für deinen Brief, der mich von deiner Gemüthsruhe und von deiner angenehmen Lage überzeugt. Max ist eben bey mir und bleibt die Feyertage hier. Was mich am meisten an ihm freut ist seine unverwandte Richtung auf sein Metier. Daß er in seinem Curs vielleicht Sprünge oder Umwege mache, giebt mir weniger Sorge, als wenn er heraus und herein hüpfte. Für uns ältere ist es immer schwer junge Leute kennen zu lernen, entweder sie verbergen sich vor uns oder wir beurtheilen sie aus unserm Standpunckt.

Ferner muß ich dir sagen daß deine Ahndung dich nicht ganz betrogen hat, denn zu der Zeit als du mich in Hamburg hofftest, hatte ich wircklich große Lust dich zu überraschen.


d. 28ten.

Ob ich nach Ostern kommen kann und werde ist sehr zweifelhaft, denn es giebt dieß Jahr allerley zu[217] thun und ich verlaße mein Haus höchst ungern. Eine Reise zerstreut uns von dem was wir haben und giebt uns selten das was wir brauchen, erregt vielmehr neue Bedürfniße, bringt uns in neue Verhältniße denen wir in einem gewissen Alter nicht mehr gewachsen sind. Indessen will ich dir doch dancken wenn du mich in eine Gegend hinglauben kannst, die zu besuchen ich mich immer scheute und die ich jetzt oder niemals sehen müßte.

Empfiel mich deiner fürtrefflichen Freundinn und dancke ihr daß sie durch einige Zeilen ihrer Hand mir ihr Daseyn näher gebracht hat; sonst war sie mir schon wie ein Stern der südlichen Hemisphäre, den uns der Horizont auf immer verbirgt. Ich freue mich der guten Tage die dein Exil dir in ihrer Nähe verschafft. Grüße Claudius und wer sich meiner erinnert. Übrigens bist du recht freundlich daß du dir eine Art von Formel gemacht hast mit den Menschen von mir zu reden, sie wird hoffentlich von der Art seyn daß du nothdürftig dadurch deine Liebe zu mir entschuldigst und sie werden wahrscheinlich auf ihrem Sinne bleiben und an mir solls nicht sehen sie von Zeit zu Zeit irre zu machen.

Mit Schillern und den Humboldts steh ich recht gut, unser Weg geht für dießmal zusammen und es scheint als ob wir eine ganze Zeit mit einander wandlen würden.

Den ersten Band von Wilhelm sollst du bald[218] haben, der zweyte kommt auf Ostern und so fort biß die vier Bände im Publico sind. Wir wollen abwarten was es zu dieser Producktion sagen wird.

Wäre Schlosser ein Naturforscher so würde Nicolovius am Ziel seiner Wünsche seyn; denn es ist eine allgemeine Bemerckung daß die Prolification nicht beßer gedeihe und gerathe als zu Zeiten des Erdbebens, eines Bombardements, oder irgend einer Stadt-oder Landkalamität und daß die unter solchen Aspeckten erzeugte Kinder an geist und körperlichen Gaben sich den Bastarden ziemlichermaaßen zu nähern pflegen.


d. 29ten.

Der dir gesagt hat: ich habe meine optischen Studien aufgegeben weiß nichts von mir und kennet mich nicht. Sie gehen immer gleichen Schrittes mit meinen übrigen Arbeiten, und ich bringe nach und nach einen Apparat zusammen, wie er wohl noch nicht beysammen gewesen ist. Die Materie, wie du weißt, ist höchst interessant und die Bearbeitung eine solche Übung des Geistes die mir vielleicht auf keinem andern Wege geworden wäre. Die Phänomene zu erhaschen, sie zu Versuchen zu fixiren, die Erfahrungen zu ordnen und die Vorstellungsarten darüber kennen zu lernen, bey dem ersten so aufmercksam, bey dem zweyten so genau als möglich zu seyn, beym dritten vollständig zu werden und beym vierten vielseitig genug zu bleiben, dazu gehört eine Durcharbeitung[219] seines armen Ichs, von deren Möglichkeit ich auch sonst nur keine Idee gehabt habe. Und an Weltkenntniß nimmt man leider bey dieser Gelegenheit auch zu. O! mein Freund wer sind die Gelehrten und was sind sie!


Abends d. 29. Dec.

Max will noch schreiben und so werd ich getrieben das vorliegende Blatt fortzuschicken.

Nun sey noch ein Wort von meinen Sünden an die Kirchen und Küchenmutter Lene gerichtet. Nach der eigentlichen Anti-Heilsordnung muß der Bösewicht alle sieben Kardinal Sünden begehen, um mit Ehren verdammt werden zu können. So ladet Don Juan nachdem er mit Mord und Todtschlag angefangen, mit Nothzucht fortgefahren, mit Wortbrüchigkeit die Laster gesteigert, endlich noch die Statue zum Essen ein, damit auch gulositas ausgeübt werde und sein schmähliches Ende desto gerechter accelerirt werden könne. Nun sind wir zwar so ziemlich im Stande, uns, durch eine löbliche Anzahl unerlaubter Handlungen, zum Höllen Candidaten zu qualificiren, allein mit der gulositate will es nicht recht fort, indem wir uns höchstens an einem guten Schöpfenbraten und einer leidlichen Knackwurst versündigen können. Da sagt uns nun der böse Geist: in jenen Gegenden gebe es ein Unmaaß köstlichen geräucherten Rindfleisches, Rinds und Schweinszungen, geräucherter Aele und andrer wunderbaren Fische, fremder Käse und ein [220] solches Gedränge von Leckerbissen pp daß wir darnach unglaublich lüstern und folglich zum Verderben völlig reif geworden sind. Unsre Freundinn, die Kirchen und Küchen-Mutter Lene, wird aus diesen Prämissen ersehen: daß es ihre Pflicht ist, sobald als möglich, durch ihre dienstbaren Geister, uns ein Musterkästchen solcher soliden Reitze zu übersenden. Denn da sie, wie wir hoffen, uns, im entscheidenden Augenblick mit ihren operibus supererogationis zu Hülfe kommen und uns dem Satan aus den Zähnen reisen wird, so erscheint alsdann ihr Verdienst um desto größer und herrlicher je größer die Sündenmasse war, mit welcher uns zu beladen sie uns selbst Gelegenheit gegeben hat.

Ferner muß ich, da doch einmal von Sünden die Rede ist, mir auf jeden Fall, wenn ich euch in jener Gegend besuchen sollte, mir die ausdrückliche Erlaubniß ausbitten Clärchen die Cour machen zu dürfen. Ich werde mich dabey so bescheiden betragen als nur verlangt werden kann, um ihre Approbation und Nachsicht zu verdienen. Aber wie gesagt ein bißchen Neigung muß sie mir erlauben und ein bißchen Aufmercksamkeit für mich haben.

Nun lebe wohl. Grüße Lottchen und Nicolovius. Behalte mich lieb.

G.

Schreibe mir doch wie und wo Emkendorf liegt, ich find es nicht auf der Carte. Ich liebe mir dergleichen zu wissen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1794. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E42-F