1820, 24. August.


Abend bei Knebels

Herr und Frau v. Knebel empfingen uns (v. Both und Frau) sehr freundlich in einem kleinen Salon, dessen Thüren nach dem Garten hin geöffnet waren und den Blick in eine hübsche Anlage gewährten ..... Nachdem der Kaffee eingenommen war,... gingst Du [Both] mit Herrn v. Knebel in den Garten; Frau v. Knebel und ich [Frau v. Both] blieben aber noch im Zimmer, weil der Regen am Morgen den Garten sehr naß gemacht hatte, und wir der Sonne Zeit lassen wollten, ihn noch erst etwas aufzutrocknen. Wir vertrieben uns also die Zeit einstweilen mit Musik und anderer Unterhaltung .... Endlich konnten auch wir in den Garten gehn, und hier gelang es mir, das Gespräch auf Goethe zu bringen, dessen mir von Frau v. Knebel angekündigter Besuch ich mit großer Freudigkeit, aber auch mit einigem Herzklopfen [62] erwartete .... »Er ist außerordentlich liebenswürdig, wenn er in guter Laune ist,« sagte Frau v. Knebel; »doch ist er auch zuweilen verstimmt und dann sehr einsilbig, wo man dann etwas unbehaglich mit ihm ist; doch ist dies nicht gerade oft der Fall.« Sie kam dann auf Goethes verstorbene Frau, die sie sehr lobte. Ich sagte ihr, daß ich früher kein so günstiges Urtheil über sie gehört hätte. »Die Frau ist sehr beneidet worden,« antwortete sie, »und deshalb viel angefeindet und verleumdet.« Sie sagte mir nun, daß diese Frau einen vortrefflichen Charakter, das beste Herz gehabt habe, daß sie alle der Überzeugung wären, daß Goethe nach seiner Eigenthümlichkeit nie eine passendere Frau für sich hätte finden könne, wie ihr ganzes Leben nur ihm geweiht gewesen sei, wie sie ihm gegenüber nie an sich selbst gedacht, sondern immer nur bemüht gewesen sei, es ihm angenehm und behaglich zu machen. »Dabei hatte sie« – sagte Frau v. Knebel – »eine sehr heitere Laune, verstand es, ihn aufzumuntern und kannte ihn so genau, daß sie immer wußte, welchen Ton sie anschlagen mußte, um wohlthuend auf ihn einzuwirken. Sie war keine sehr ausgebildete Frau,« fügte sie hinzu, »aber sie hatte sehr vielen natürlichen hellen Verstand. Goethe hat uns oft gesagt, daß, wenn er mit einer Sache in seinem Geiste beschäftigt wäre und die Ideen zu stark ihn drängten, er dann manchmal zu weit käme und sich selbst nicht mehr zurechtfinden könne, wie er dann zu ihr ginge, ihr einfach die Sache vorlege und oft erstaunen [63] müßte, wie sie mit ihrem einfachen natürlichen Scharfblicke immer gleich das Richtige herauszufinden wisse und er ihr in dieser Beziehung schon manches verdanke.« Frau v. Knebel sagte mir auch, wie tief er ihren Tod empfunden hätte und wie er auch jetzt noch immer ihren Verlust nicht verschmerzen könne.

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Über diesen Gesprächen waren wir wieder in den Salon zurückgekehrt, standen am Piano und hatten die Absicht, noch etwas zu musiciren, als ich meinen Blick zur Seite wendend, eine hohe Gestalt in der Gartenthür stehen sah. Ich konnte nicht zweifeln, daß es Goethe sei, und alles Blut schoß mir so zu Herzen, daß ich selber fühlte, wie ich ganz bleich wurde. Frau v. Knebel, die meinem Blicke gefolgt war, ging nun Goethe entgegen und bewillkommte ihn. Ich wurde ihm vorgestellt, und da er wohl bemerken mochte, daß ich sehr besangen war, so richtete er gleich einige freundliche Fragen an mich, die mich leichter über diesen ersten Augenblick des Zusammenseins mit ihm hinwegbrachten, als ich es gedacht hatte. Bald nachher kamst Du mit Herrn v. Knebel aus dem Garten zurück und er ließ sich nun in ein Gespräch mit Euch ein.

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In der Mitte des Salons stand ein runder Tisch mit Schreibmaterialien; an diesem nahmen wir Platz, wir beiden neben Goethe, und das Gespräch drehte sich zuerst um allgemeine Dinge. Bald darauf gingst Du[64] mit Herrn v. Knebel weg, um den Präsidenten v. Ziegesar aufzusuchen, mit dem Du noch zu sprechen hattest, und Herr v. Knebel begleitete Dich, um Herrn v. Ziegesar einzuladen, den Abend dort zuzubringen. Frau v. Knebel hatte sich schon früher, wahrscheinlich in häuslichen Geschäften, entfernt, und so saß ich nun tête à tête mit dem großen Goethe. Mir wurde wieder etwas beklommen zu Muthe, doch führte Goethes freundliche Rede mich bald hierüber weg. Er erkundigte sich nach unserm Leben, meinen Beschäftigungen, und dann kam das Gespräch auf die Reise, die wir gemacht hatten, wobei er eine große Vorliebe für einige Partien des Harzes zeigte, den er früher öfter bereist hatte. Wir plauderten bald ganz harmlos miteinander, und als im Laufe des Gesprächs auch die Rede auf den Dom in Magdeburg kam und das schöne Grabmal in demselben, lobte Goethe es als ausgezeichnetes Kunstwerk, sprach über die Einzelheiten desselben und pries die schöne Lage der Hauptfigur. Ich mußte ihm gestehen, daß ich zwar die Schönheit desselben im Allgemeinen auch bewundert hätte, daß ich aber, an dem Tage mich unwohl fühlend und ermüdet von der Reise, dem Kunstwerke in seinen einzelnen Theilen die Aufmerksamkeit nicht geschenkt hätte, die es gewiß verdiene. »Ich will es Ihnen aufzeichnen, dann wird es Ihnen wieder mehr in's Gedächtniß zurückkehren,« sprach Goethe; »es ist zu schön, als daß es aus Ihrer Erinnerung scheiden dürfte.« Goethe nahm hierauf ein Blatt [65] Papier vom Tische und eine Feder zeichnete das Grabmal hin und erklärte mir nun die einzelnen Theile desselben. Dann gab er mir die kleine Zeichnung – der er später den Namen eines Buches, das er mir zu lesen empfohlen hatte (»Olfrid und Lisena« von Hagen), beifügte – und sagte: »Behalten Sie es zu meinem Andenken.« .... Als später die Rede auf Lectüre kam, empfahl er mir mehrere Schriften und machte mir das Compliment, daß ich eine sehr gute Vorleserin sein müßte, da ich eine so klare deutliche Aussprache habe. Ich hatte nämlich schon vorher erfahren, daß er nicht ganz scharf mehr höre, und meine Sprache darnach eingerichtet, und dies mochte mir jenes Compliment verschafft haben.

Nach diesem kamst Du mit Herrn v. Knebel und dem Präsidenten v. Ziegesar, einem hohen, stattlichen Manne, zurück; auch Frau v. Knebel erschien wieder, um den neuen Gast zu bewillkommnen. Wir setzten uns alle wieder an den runden Tisch, wo das Gespräch sich ausschließlich den neuern Erscheinungen in der Literatur zuwandte ..... Es wurde über Hebel's alemannische Gedichte gesprochen, die von Goethe sehr belobt wurden, dann über plattdeutsche Gedichte und über die plattdeutsche Sprache überhaupt, für die Goethe sich zu interessiren schien. Außerdem wurden noch manche neue Schriften, deren Namen ich vergessen habe, beurtheilt; etwas Genaueres weiß ich aber nicht darüber zu sagen.

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[66] So ging der Abend rasch vorüber und da das Wetter schön geworden war, so gingen wir noch in den Garten; doch waren wir noch nicht lange dort, als wir benachrichtigt wurden, daß das Essen unserer harre. Wir stiegen nun, ich von Goethe geführt, in den zweiten Stock, wo die Tafel servirt war. Ich saß wieder neben Goethe, während Du weiter unten bei Frau v. Knebel placirt wurdest. Während der Dauer der Mahlzeit wurden keine ernsten Gespräche mehr geführt; die Unterhaltung war heiter und scherzhaft. Goethe schien einiges Vergnügen daran zu finden, mich zu necken und da ich über die Blödigkeit weggekommen war, so erlaubte ich mir, ihn auch ein wenig dafür zu bezahlen. Als Herr v. Ziegesar ihm sagte: »Excellenz necken die junge Dame aber auch nicht wenig,« gab er lachend zur Antwort: »Nun, sie bleibt mir eben auch nichts schuldig.« Und in Wahrheit; ich habe es später selbst nicht begreifen können, woher ich den Muth bekommen hatte, dem großen Goethe seine Neckereien zurückzugeben, ich war aber heiter gestimmt und fühlte mich sehr angeregt, und da kann man denn manches thun, was in gewöhnlicher Stimmung unmöglich sein würde. Als wir gegen 12 Uhr vom Tische aufstanden, konnte ich gewiß aus aufrichtigem Herzen der Frau u. Knebel meinen herzlichsten Dank sagen für den herrlichen Abend, den ihre Güte uns bereitet hatte, und die gutherzige Frau war selber sehr erfreut, daß der Goethe, wie sie sagte, so prächtig gewesen sei. »Daher freute es [67] mich,« fügte sie hinzu, »daß sie ihn so gesehen haben; er ist nicht immer so, aber heute ist er einmal in seiner rosigsten Laune.« Und gewiß, er war so liebenswürdig wie möglich .....

Als wir uns gleich darauf empfehlen wollten, erbot sich Goethe, uns in seinem Wagen, der schon vor der Thüre hielt, nach unserem Hotel zu bringen; dies wurde natürlich mit Dank angenommen, und wir bestiegen mit ihm eine Droschke, worin Du Deinen Platz bei dem Kutscher nahmst, und ich mich bei Goethe in den Hauptsitz setzen mußte. So brachte er uns nach unserm Hotel, wo wir an der Thür Abschied von ihm nahmen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1820. 1820, 24. August. Abend bei Knebels. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A08F-9