1797, Spätherbst.


Mit Herzog Carl August

So wurden einst auf dem Landsitze der verwittweten Herzogin Amalie zu Tiefurt »Die Ritter« des Aristophanes durch Wieland, der sie für sein »Athenäum« übersetzt, vorgelesen. Es war im Spätherbst und Egidi vorbei. Nun traf es sich, daß den regierenden Herzog, der eben von der Jagd zurückkehrte, sein Weg durch Tiefurt führte. Er kam, als die Vorlesung bereits angegangen war. Wegen der vorgerückten Jahreszeit waren die Zimmer geheizt. Der Herzog, der aus freier Luft kam und dem es in der Stube zu heiß wurde, öffnete die Flügel eines Fensters. Einige Damen, die leichtbekleideten Achseln in seidne Tücher gehüllt, die diesen Fenstern zunächst saßen, beklagten sich kaum über den Luftzug, als auch schon Goethe mit bedachtsamen Schritten, um die Vorlesung auf keine Weise zu stören, sich dem Orte näherte, woher der Zug kam, und die Fenster leise wieder zuschloß. Des Herzogs Gesicht, der indeß auf der andern Seite des Saales gewesen war, verfinsterte sich plötzlich, als er wieder zurückkehrte und sah, daß man eigenmächtig seinen Befehlen zuwiderhandelte. »Wer hat die Fenster, die ich vorhin eröffnet, hier wieder zugemacht?« fragte er die Bedienten des Hauses, deren keiner jedoch auch nur einen Seitenblick[189] auf Goethe zu thun wagte. Dieser aber trat sogleich mit jenem ehrerbietig schalkhaften Ernste, wie er ihm eigen ist, und dem oft die feinste Ironie zugrunde liegt, vor seinen Herrn und Freund und sagte: »Ew. Durchlaucht haben das Recht über Leben und Tod der sämmtlichen Unterthanen: über mich ergehe Urtheil und Spruch!« Der Herzog lächelte und die Fenster wurden nicht wieder geöffnet.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1797. 1797, Spätherbst. Mit Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A0A6-4