d.

Du [Frh. v. Truchseß] forderst einen Jubelbrief über Goethe, aber den kann ich nun nicht mehr schreiben, da die Jubelperiode vorüber ist und der Jubelsenior fern. Das hätte unter seinen Augen geschehen müssen. Goethe ist volle vierzehn Tage bei uns gewesen und hat bei den Brüdern Boisserée, eigentlich wohl bei ihren Gemälden gewohnt. Sein erster Besuch war bei meinen Eltern, und er kam so freundlich und zutraulich wie in den ersten Jenaer Zeiten. Am folgenden Tage gingen die Schmausereien an, und wenn so was im Gang ist, hört es nicht auf. Auch wir Professoren nebst einem Anhange von Beamten, Ärzten u.s.w. gaben ihm einen gemeinschaftlichen Schmaus im Karlsberge. So hat ihn denn jeder nach Herzenslust sehn können; genossen haben ihn nur wenige; denn beim Essen und Trinken, besonders wo Gaffer herumstehn, ist Goethe ein Mann wie unsereins. Nur zweimal kam ich dazu, ein trauliches Wort mit ihm zu sprechen, und sah zu meiner Freude, daß er mir und meinem Treiben noch hold ist. Besonders herzlich war er gegen mich, als ich ihm am Tage vor seiner Abreise [also 8. October] einen Morgenbesuch machte. Wir sprachen viel über Calderon. Auch er ist entzückt [157] von Gries' Übersetzung; auch er bewundert mehr das wollüstige Farbenspiel, als die Charakteristik Calderon's, in der er weit unter Shakespeare stehe. In den Intriguenstücken sei er besonders Meister, und hier müsse der Deutsche noch recht bei ihm in die Schule gehn.

Daß die Heidelberger über Goethe entzückt sind, versteht sich. Alt und jung preist seine Leutseligkeit, und jeder verwahrt sorgfältig die ihm zugeworfenen Geistesbrocken, wenn sie auch noch so mager sind. Sogar mein College Moser, der aus einem deutschen Barbier ein lateinischer Professor der Medicin geworden, ist seines Gespräches gewürdigt. »Wir haben über den ›Faust‹ gesprochen,« sagte er mir. »Und ich mit ihm über die Feldmäuse,« antwortete ich ganz ernsthaft. Ein anderer, ein Mann von Geschmack und ästhetischer Bildung, fing an über den Barbarismus zu radotiren, womit die Handschuchsheimer den schönen Heiligenberg niedergeholzt hätten. »Beruhigen Sie sich,« sagte Goethe; »in einigen Jahren ist er wieder grün, und dann hat Ihr Ärger volle 22 Jahre Ruhe; denn so lange muß er nach forstlichen Regeln schon grün bleiben.« Der Philister guckte Goethen an und schien an seinem Geschmacke ganz irre zu werden. – Daß Goethe sich mit manchen zu seiner Gemüthsergötzung unterhalten hat, ahndet mancher nicht. Andere dienten dazu, seinen Schatz von Menschenkenntniß zu erweitern, oder seine Phantasie mit irgend einer Personage für ein zukünftiges Fastnachtsspiel zu bereichern.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1814. 1814, zwischen 24. September und 9. October.: In Heidelberg. d.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A11F-C