1830, 31. August.


Mit Johann Ludwig Deinhardstein u.a.

Als ich von meinem Spaziergange zurückgekehrt war, schickte ich zu Goethe und ließ ihn infolge einer in früherer Zeit gütig an mich ergangenen Einladung fragen, wann ich ihm aufwarten dürfe. Er ließ mir erwiedern, ich möchte gleich kommen. Mit einer Art heiligen Scheu betrat ich sein Haus. Über eine breite Treppe, an der einzelne Abgüsse von Statuen stehen, kommt man zu seiner Wohnung im ersten Stockwerke. Vor der Schwelle seiner Wohnzimmer ist ein längliches Viereck auf Mosaikart eingelegt mit dem freundlichen Worte: Salve. Das erste Zimmer fand ich mit Blumen geschmückt und mit schöner Majolica, im zweiten, an Bildern, Gipsabgüssen von Statuen und schönen Stickereien reichen, trat er mir entgegen. Er war in einen [328] einfach braunen Oberrock gekleidet und hatte das Halstuch lose umgeworfen, ohne Hemdkragen, gerade so, wie er von Stieler gemalt ist ..... Goethe hat alles Ehrwürdige des Greisenalters und noch bedeutende Reste von der Kraft früherer Jahre. Seine Haltung ist vollkommen gerade, sein Blick voll Feuer und Leben. Ein besonders gütiges Wohlwollen, fern von jeder Affectation, herrscht in seinem Benehmen vor. Wir sprachen lange, meistens über die literarischen Verhältnisse Österreichs. Er schenkte der kleinsten Bemerkung Aufmerksamkeit. Beim Fortgehen ersuchte er mich, Abends nach fünf Uhr wieder zu ihm zu kommen, wo ich einige der bedeutendsten Männer Weimars kennen lernen sollte; auch seiner Schwiegertochter wollte er mich vorstellen.

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Um 5 Uhr ging ich zu Goethe. Ich fand dort, außer seiner höchst liebenswürdigen und geistreichen Schwiegertochter, den Kanzler Geheimen Rath Müller, Oberbibliothekar Riemer und Oberconsistorialrath Röhr. Ich werde diesen Abend nie vergessen. Welch reiner geistiger Verkehr! welch eine im eigentlichsten Verstande gute Gesellschaft! Es wurde mitunter auch mit vieler, Achtung der bedeutenderen Schriftsteller meines Vaterlandes [Österreich] vergangener und gegenwärtiger Zeit gedacht, unter den letzteren besonders Pyrker's und Grillparzer's. Goethe war die Liebenswürdigkeit selbst, belebt und voll Humor. Mit herzlicher Anhänglichkeit [329] ist er seinem kleinen zwölfjährigen Enkel zugethan, der beständig in seiner Nähe ist. Die gewählte Toilette hatte Goethen noch besser aussehen gemacht, als Vormittag: er war ganz schwarz gekleidet und trug den Stern des Großkreuzes eines der vielen Orden, die ihm die anerkennende Huld der Mäcene seiner Zeit verliehen, an der Brust. Er sah in Haltung und Benehmen einem Manne weit ähnlicher, als einem Greise. Sein Kopf ist ganz der eines Jupiters: die Stirne gewölbt und edel, das Auge voll Glanz und Kraft und eine unnachahmliche Hoheit um den Mund. Alles an ihm ist Ordnung und Ebenmaß.

Das Gespräch wendete sich zu den englischen Autoren und vorzugsweise zu Byron. Ich gedachte dabei zufällig einer Übersetzung des ›Marino Falieri‹ von tor Hardt und lobte sie als die beste, die mir von einem Byron'schen Werke zu Gesichte gekommen war; Goethe trat meiner Ansicht bei, und als seine Schwiegertochter ihn fragte, ob er das Buch besitze, antwortete er ihr, daß dem so sei, daß er es aber – weil er sich deshalb schuldig wisse, daß er dem Manne, der es ihm zugesandt, noch nicht geantwortet – vor ihr verborgen gehalten habe, um nicht an seine Pflicht erinnert zu werden, der er aus Mangel an Zeit noch nicht habe nachkommen können. All das that er mit einer Munterkeit und einem Humor von der liebenswürdigsten Art.

Beim Fortgehen ladete er mich für den künftigen[330] Tag zu Tische. »Ich möchte so gerne« – sagte er mit unbeschreiblicher Gemüthlichkeit – »Ihnen Ihren hiesigen Aufenthalt so angenehm machen, als mir möglich.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1830. 1830, 31. August. Mit Johann Ludwig Deinhardstein u.a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A152-7