1774, Ende Juli. (?).
Mit Friedrich Heinrich Jacobi
Die Aufforderung oder der Zuruf, man müsse den wankenden Götzen Wieland vollends niederreißen, ist mir nicht durch Goethen zu Ohren gekommen; dieser spottete nur, ohne jene lächerliche Rede anzuführen, der Schurken und Narren, welche sich in den Kopf gesetzt hatten, er wolle und müsse an Wieland zum Ritter werden.
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Ich müßte zu weitläufig werden, mein liebster Bruder [Wieland], wenn ich Ihnen noch erklären wollte, in welchem Sinne, nach welcher Vermischung von Charakter und Genie man Sie beschuldigt, Sie seien auf einmal vom Kinde zum Greis geworden. Daß Sie bereits zu sehr empfinden, quantum est in rebus inane, gehört mit dazu. Auch Goethe jammerte hierüber bei Gelegenheit, daß er mit Bewunderung und Entzücken von Ihrem Gedicht »An Psyche« sprach. »Wieland's Weisheit,« sagte er, »konnt's doch nicht unerörtert lassen, daß die Wonne des Mädchens frühzeitig ein Ende nehmen würde; da macht er ihm einen herrlichen Nektarbecher [5] zurecht, gießt aber beim Hinreichen einen vollen Löffel Rhabarbertinctur darunter und rührt's brav durch, daß das arme Ding nun den ganzen Stoff nicht mag.«
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