1796, Frühjahr (?).


Über Ifflands Schauspiele

Sie haben alle zwei Hauptfehler. 1) Alle moralische Besserung wird in seinen Stücken von außen herein, nicht von innen heraus bewirkt. Daher das Gewaltsame, unwahrscheinlich Zusammengedrängte und Überhäufte in seinen Stücken, z.B. der Commissär Wallmann in der »Aussteuer« ist schon viele Jahre bei der verkehrten Wirthschaft seines Bruders Augenzeuge, schon viele Jahre ebenso heftig, auffahrend gewaltsam gewesen; aber erst heute, wo das Stück zu spielen anfängt, regt sich der Brausekopf, stürmt an der großen Glocke, poltert und will das gut machen, was bei frühern, nur halb so heftigen Warnungen an seinen Bruder und dessen [184] Kinder nicht halb so schlimm geworden wäre. Es ist durchaus keine zureichende Ursache da, warum dies alles erst jetzt, wo das Stück eintritt, so von außen herein kommen müsse. So macht der Stabschirurg Rechtler im »Scheinverdienst« heute erst Lärm und Ordnung, da er doch schon zwanzig Jahre lang sein Pfeifchen bei seinem amicus geraucht und die Scheinversuche seiner Frau und Kinder mit angesehen hat. Eben darum, weil alle Motive nur von außen herein bloß zufällig zur Hauptentwickelung wirken, nicht aus dem Charakter selbst hervorgehn, braucht Iffland so viel Nebenfiguren und unnütze Ausstaffirungen zu seinen Stücken, weil er durch sie den Ausgang motiviren will.

2) Er setzt überall Natur und Cultur in einen falschen Contrast. Cultur ist ihm immer die Quelle aller moralischen Verdorbenheit; wenn seine Menschen gut werden sollen, so kehren sie in den Naturstand zurück: der Hagestolze geht auf seine Güter und heirathet ein Bauernmädchen u.s.w. Dies ist ein ganz falscher Gesichtspunkt, aus welchem er alle Cultur verunglimpft, da vielmehr das Geschäft eines Schauspieldichters in unserm Zeitalter sein sollte, zu zeigen, wie die Cultur von Auswüchsen gereinigt, veredelt und liebenswürdig gemacht werden könne. Die Idyllenscenen aus Arkadien, die in Iffland's Stücken so wohlgefallen, sind eine süße, aber darum nur um so gefährlichere Schwärmerei. Freilich sieht er auch in M[annheim] [185] die Grundsuppe der sogenannten Cultur in ihrer hassenswürdigsten Abscheulichkeit. Losgerissen von diesen herzlosen Modepuppen, würde er auch ganz andere Charaktere zeichnen und ganz neue Ansichten in seine Stücke bringen können.

[186]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1796. 1796, Frühjahr (?). Über Ifflands Schauspiele. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A184-8