a.

Am zweiten Osterfeiertage 1808 Abends war ich [Falk] mit Goethe in einer kleinen, auserlesenen Gesellschaft zusammen gewesen.

So ist es ihm eben recht. Auch that er seinem Humor keinen Zwang an, sondern ließ ihm freien Lauf, besonders, als wir auf Theater und die neue Literatur zu sprechen kamen, die er mit politischen Zuständen verglich und seinen Vergleich mit der anmuthigsten und lebendigsten Laune durchführte. Eben hatten wir am vergangenen Sonnabend »Die Piccolomini« gesehen; die nächste Mittwoch sollte nach einer langen Zwischenpause auch der »Wallenstein« darankommen.

»Es ist,« sagte Goethe, »mit diesen Stücken wie mit einem ausgelegenen Weine. Je älter sie werden, je mehr Geschmack gewinnt man ihnen ab. Ich nehme mir die Freiheit, Schiller für einen Dichter und sogar für einen großen zu halten, wiewohl die neusten Imperatoren und Dictatoren unserer Literatur versichert haben, er sei keiner. Auch den Wieland wollen sie nicht gelten lassen. Es fragt sich nur, wer dann gelten soll?«

»Kürzlich hat eine Gelehrtenzeitung in einer von[202] beiden Städten, ich weiß nicht recht, ob in Ingolstadt oder in Landshut, Friedrich Schlegel als den ersten deutschen Dichter und Imperator in der Gelehrtenrepublik förmlich ausgerufen. Gott erhalte Se. Majestät auf Ihrem neuen Throne und schenke demselben eine lange und glückliche Regierung! Bei alle dem möchte man es nicht bergen, daß das Reich dermalen noch von sehr rebellischen Unterthanen umlagert ist, deren wir einige,« indem er einen Seitenblick auf mich warf, »sogar in unsrer eigenen Nähe haben.«

»Übrigens geht es in der deutschen Gelehrtenrepublik jetzt völlig so bunt zu wie beim Verfall des römischen Reiches, wo zuletzt jeder herrschen wollte, und keiner mehr wußte, wer eigentlich Kaiser war. Die großen Männer leben dermal fast sämmtlich im Exil und jedes verwegene Markedentergesicht kann Imperator werden, sobald es nur die Gunst der Soldaten und der Armee besitzt, oder sich sonst eines Einflusses zu erfreuen hat. Ein paar Kaiser mehr oder weniger, darauf kommt es in solchen Zeiten gar nicht an. Haben doch einmal im römischen Reiche dreißig Kaiser zugleich regiert, warum sollten wir in unsern gelehrten Staaten der Oberhäupter weniger haben? Wieland und Schiller sind bereits ihres Thrones verlustig erklärt; wie lange mir mein alter Imperatormantel noch auf den Schultern sitzen wird, läßt sich nicht vorausbestimmen; ich weiß es selbst nicht. Doch bin ich entschlossen, wenn es je dahin kommen sollte, der Welt zu zeigen, daß Reich [203] und Scepter mir nicht ans Herz gewachsen sind, und meine Absetzung mit Geduld zu ertragen; wie denn überhaupt seinen Geschicken in dieser Welt niemand so leicht entgehen mag. Ja, wovon sprachen wir doch gleich? Ha, von Imperatoren! Gut! Novalis war noch keiner, aber mit der Zeit hätte er auch einer werden können. Schade nur, daß er so jung gestorben ist, zumal, da er noch außerdem seiner Zeit den Gefallen gethan und katholisch geworden ist. Sind ja doch schon, wie die Zeitungen besagten, Jungfrauen und Studenten rudelweise zu seinem Grabe gewallfahrtet und haben ihm mit vollen Händen Blumen gestreut. Das nenn' ich einen guten Anfang, und es läßt sich davon schon etwas für die Folge erwarten. Da ich nur wenige Zeitungen lese, so ersuche ich meine anwesenden Freunde, wenn etwas weiter von dieser Art, was von Wichtigkeit, eine Kanonisirung oder dergleichen vorfallen sollte, mich davon sogleich in Kenntniß zu setzen. Ich meinerseits bin damit zufrieden, daß man bei meinen Lebzeiten alles nur erdenkliche Böse von mir sagt; nach meinem Tode sollen sie mich schon in Ruhe lassen, weil der Stoff schon früher erschöpft ist, sodaß ihnen wenig oder nichts übrig bleiben wird. Tieck war auch eine Zeitlang Imperator, aber es währte nicht lange, so verlor er Scepter und Krone. Man sagt, es sei etwas zu Titusartiges in seiner Natur, er sei zu gütig, zu milde gewesen, das Reich aber fodere in seinem jetzigen Zustande Strenge, ja, man möchte wohl sagen, eine fast[204] barbarische Größe. Nun kamen die Schlegel ans Regiment; da ging's besser! August Schlegel, seines Namens der Erste, und Friedrich Schlegel der Zweite – die beiden regierten mit dem gehörigen Nachdrucke. Es verging kein Tag, wo nicht irgendjemand ins Exil geschickt, oder ein paar Executionen gehalten wurden. So ist's recht! Von dergleichen ist das Volk seit undenklichen Zeiten ein großer Liebhaber gewesen. Vor kurzem hat ein junger Anfänger den Friedrich Schlegel irgendwo als einen deutschen Hercules aufgeführt, der mit seiner Keule im Reiche herumginge und alles todtschlüge, was ihm irgend in den Weg käme. Dafür hat jener muthige Imperator diesen jungen Anfänger seinerseits sogleich in den Adelstand erhoben und ihn ohne weiteres einen Heroen der deutschen Literatur genannt. Das Diplom ist ausgefertigt; Ihr könnt Euch darauf verlassen, ich habe es selber gelesen. Dotationen, Domainen, ganze Fächer in Gelehrtenzeitungen, die sie ihren Freunden zum Recensiren verschaffen, sind auch nicht selten, die Feinde aber werden oft heimlich aus dem Wege geräumt, indem man ihre Schriften beiseite legt und sie lieber gar nicht anzeigt. Da wir nun im Deutschen ein sehr geduldiges Publicum haben, das nichts liest, als was zuvor recensirt ist, so ist diese Sache gar so übel nicht ausgesonnen. Das Beste noch bei der ganzen Sache ist denn aber doch immer das Ungefährliche. Z.B. es legt sich einer jetzt Abends als Imperator gesund und vergnügt zu Bette; des [205] andern Morgens darauf erwacht er und sieht mit Erstaunen, daß die Krone von seinem Haupte hinweg ist. Ich geb' es zu, es ist ein schlimmer Zufall, aber der Kopf, sofern der Imperator überhaupt einen hatte, sitzt doch noch immer auf derselben Stelle, und das ist, meines Erachtens, baarer Gewinn. Wie häßlich dagegen ist es von den alten Imperatoren zu lesen, wenn sie dutzendweise in der römischen Geschichte erdrosselt und nachher in die Tiber geworfen werden. Ich meinerseits gedenke, wofern ich auch Reich und Scepter verlieren sollte, hier ruhig an der Ilm auf meinem Bette zu sterben. Von unsern Reichsangelegenheiten und besonders von Imperatoren weiter zu sprechen: ein andrer junger Dichter in Jena [A. Bode?] ist auch zu früh gestorben. Imperator konnte der zwar nicht werden, aber Reichsverweser, Major Domus oder so etwas, das wär' ihm nicht entgangen. Wo nicht, so stand ihm noch immer als einem der ersten Heroen in der deutschen Literatur ein Platz offen. Eine Pairskammer zu stiften, wozu Vermögen gehört, wäre überhaupt in der deutschen Literatur kein verwerflicher Gedanke. Hätte jener nur ein paar Jahre länger in Jena gelebt, so könnte er Pair des Reiches geworden sein, ehe er sich umsah. So aber, wie gesagt, starb er zu frühe. Das war übereilt. Man soll sich, wie es der rasche Gang unserer neuesten Literatur fordert, so schnell als möglich mit Erde bedecken. Das ist Grundsatz. Mit der Herausgabe von einigen Sonetten und [206] ein paar Almanachen ist die Sache noch keineswegs gethan. Die literarischen Freunde des jungen Mannes haben zwar in öffentlichen Blättern versichert, seine Sonetten würden auch lange nach seinem Tode noch fortleben, ich habe mich aber nachher nicht weiter danach erkundigt, kann daher auch nicht sagen, ob es in Erfüllung gegangen ist, oder wie es sich überhaupt mit dieser Sache verhält.«

»Als ich noch jung war, hab' ich mir freilich von verständigen Männern sagen lassen, es arbeite oft ein ganzes Zeitalter daran, um einen einzigen tüchtigen großen Maler oder Dichter hervorzubringen, aber das ist lange her. Jetzt geht das Alles viel leichter vonstatten. Unsre jungen Leute wissen das besser einzurichten und springen mit ihrem Zeitalter um, daß es eine Lust ist. Sie arbeiten sich nicht aus dem Zeitalter heraus, wie es eigentlich sein sollte, sondern sie wollen das ganze Zeitalter in sich hineinarbeiten, und wenn ihnen das nicht nach Wunsche glückt, so werden sie über die Maßen verdrießlich und schelten die Gemeinheit eines Publicums, dem in seiner gänzlichen Unschuld eigentlich Alles recht ist. Neulich besuchte mich ein junger Mann, der soeben von Heidelberg zurückkehrte; ich konnte ihn kaum über neunzehn Jahre schätzen. Dieser versicherte mich im vollen Ernste, er habe nunmehr mit sich abgeschlossen, und da er wisse, worauf es eigentlich ankomme, so wolle er künftighin so wenig wie möglich lesen, dagegen aber in gesellschaftlichen [207] Kreisen seine Weltansichten selbstständig zu entwickeln suchen, ohne sich durch fremde Sprachen, Bücher und Hefte irgend darin hindern zu lassen. Das ist ein prächtiger Anfang! Wenn jeder nur erst wieder von Null ausgeht, da müssen die Fortschritte in kurzer Zeit außerordentlich bedeutend werden.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1808. 1808, 18. April.: In Gesellschaft bei Johanna Schopenhauer. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A1B5-9