1825, 7. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Am 7. September früh ließ Goethe für meinen Sohn Joseph, der bei Rehbein wohnte, ein Frühstück [229] bereiten, bei welchem auch seine Enkel Wolfgang und Walther erschienen.

»Sehen Sie meinem Wolf in die Augen,« sagte Goethe, »es spricht so etwas heraus, daß ich meinen sollte, er werde ein Dichter. Mein Sohn hat keine Anlage dazu, wohl aber ist er auf seinem Platz als Kammerrath. Er versieht auch meine ganze Wirthschaft, um die ich mich nicht zu kümmern brauche. Meine Enkel machen mir viele Freude, sie werden gut erzogen, meine Schwiegertochter ist eine einsichtsvolle, in Sprachen geübte, im Umgange in höheren Cirkeln gewandte, unterrichtete Hausfrau. Sie dürften sich selbst bei der Soirée überzeugt haben, wie sie jeden Gast empfangen und sich bemüht hat, jeden nach Möglichkeit zu unterhalten.«

Ich bewunderte, antwortete ich, ihren edlen Anstand, ihr einnehmendes Wesen, und ihre Sprachkenntnisse.

»Nun müssen Sie auch,« sagte Goethe, »die Sammlung meines Sohnes im Gartenhause ansehen, welches er sich für seine Passion für Petrefacte ganz eingeräumt hat.«

Nach Besichtigung der Sammlung sagte Goethe zu seinem Sohne: »Heraus mit deinen Doubletten! Grüner muß sich auch in dieses Fach einstudiren, er kann Dir auch manche Beiträge liefern.«

Ich machte aufmerksam auf die Altsattler so verschiedenartigen Blätterabdrücke, und verschiedenartiges petrificirtes Holz, auf die versteinerten Süßwasserschnecken [230] bei Libnitz im Elbogner Kreise, und sicherte Zusendungen zu. Der junge Goethe versprach, mir ein Verzeichniß seiner Doubletten und die entbehrlichsten davon zu geben.

Hierauf führte mich Goethe zu seinen Münz-, Antiken- und Kupferstichsammlungen. Ich staunte über den Reichthum an Münzen und Antiken, und über Goethes Gedächtniß; denn er kannte die berühmten Steinschneider alle mit Namen, wußte über die Veranlassung zu den Medaillen, und über den Lebenslauf der berühmten Männer, auf deren Ehre sie geschlagen worden, manche Anekdote zu erzählen. Die Kupferstiche bewahrte er in mehreren großen Portefeuilles auf. Unter anderem legte er mir die Schlacht Constantin's in großen Blättern vor, machte mich, mit dem Finger hin- und herweisend, auf die Vertheilung und Gruppirung der Figuren, auf die richtige Zeichnung der Menschen und Pferde aufmerksam und sagte: »Sehen Sie! dazu gehört Geist und Talent, um ein solches Bild zu entwerfen und so glücklich auszuführen.«

Unter dieser belehrenden herrlichen Unterhaltung verstrich die Zeit, bis man endlich das Mittagsmahl ansagte. Indem wir uns anschickten, uns zu demselben zu begeben, erlaubte ich mir die Bemerkung, es sei schade, daß diese häuslichen Schätze nicht öffentlich bekannt würden. »Das lassen wir gut sein,« antwortete Goethe, »bei der Beschreibung müßte ich dabei sein, was mir zu viele Zeit rauben würde.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1825. 1825, 7. September. Mit Joseph Sebastian Grüner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A20D-C