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Wenn Sie [Rahel Levin] mir jemals gefehlt haben,... so war es gestern, nachdem ich Goethe drei Viertelstunden hindurch ununterbrochen gesprochen hatte, [155] und noch mehr den Abend nach der Komödie in Weimar .....

Goethe hat mich erstaunlich freundlich aufgenommen, hat sich angelegentlich nach [Salomo] Maimon erkundigt und übersehr viel Dinge mit mir gesprochen. Es ist wahr, daß er älter geworden... er ist etwas magerer und bleich im Gesicht; die Nase sieht länger aus, und die ihm gewöhnliche steile Stellung wird um so auffallender, nichtsdestoweniger ist er außerordentlich freundlicher Gesichter und der heitersten Laune fähig. Er hat viel über Maimon mit mir gesprochen, über Dichtkunst, Philosophie, Genie und andere Materien mehr ..... Beim Weggehen sagte mir Goethe: »Besuchen Sie mich, wenn Sie wieder nach Weimar kommen; komme ich nach Jena, – und ich denke: bald – so will ich nach Ihnen fragen. Wenden Sie sich immer an mich, sobald Sie etwas suchen; den Hofrath Gruner will ich bitten, daß er Ihnen Bücher leiht« u.s.w. Ich: »Ich danke Ihnen recht sehr, Herr Geheimerath! Aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich wirklich Anstand genommen habe zu Ihnen zu kommen; ich weiß, wie sehr Sie von Fremden incommodirt werden« u.s.w. Das nahm er wohl auf, und ich ging. Den Abend wurde in Weimar »Der Diener zweier Herrn« zu meiner Bewunderung recht hübsch gespielt ..... Goethe war auch im Theater, und zwar wie immer auf dem Platz des Adels. Mitten im Spiel gehet er von diesem Platze weg, – was er sehr selten thun soll – setzt [156] sich, so lange er mich nicht anreden konnte, hinter mir – wie mir meine Nachbarinnen erzählt haben – und sowie der Act zu Ende ist, kommt er vor, macht ein äußerst verbindliches Compliment und fängt in einem recht vertraulichen Ton an: »Das ist ein recht vorzüglich Stückchen. O! es ist schon sehr alt, und von Goldoni; der Schröder hat's in's Kurze gezogen für die Hamburger Bühne, und alle Theaterschwänke sind darin recht gut benutzt.« Ich: »Ja wohl! und ich habe noch keine Unanständigkeit gehört.« Goethe: »Kommt auch keine.« – Hierauf fängt er an, einen Augenblick zu schweigen; indem vergesse ich, daß er Theaterdirector ist und sage: »Sie spielen es auch recht hübsch.« Er sieht noch immer grade aus, und so sage ich in der Dummheit – aber wirklich in einer Empfindung, die ich mir noch nicht zu zergliedern weiß – noch einmal: »Sie spielen recht hübsch.« In dem Augenblick macht er mir ein Compliment, das aber wirklich wie das erste so verbindlich war, und fort ist er! Hab' ich ihn beleidigt oder nicht? ..... Sie können es gar nicht glauben, wie ich noch immer geängstigt bin, ohnerachtet ich schon von Humboldt, der ihn jetzt genau kennt, die Versicherung habe, daß er oft so schnell weggeht und Humboldt es auf sich genommen hat, noch einmal mit ihm von mir zu sprechen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1794. 1794, 19. October.: Mit David Veit. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A249-6