1832, 10. März.


Mit Pauline Hase und Laura Weiße

Wir setzten uns in einen Einspänner und hatten unterwegs noch tausend Witze, wie wir aber in Weimar ankamen nur gerade Zeit, die Locken aufzumachen; es schlug zwölf, die Zeit, wo Goethe Besuche annimmt, wenn er dazu gestimmt ist. Wir konnten uns nicht mehr besinnen, ob wir noch wollten, ob nicht. Wir standen endlich in seinem Hause; ich fragte den Kammerdiener in Todesangst zitternd, ob wir den Herrn Geheimen Rath einen Augenblick sehen könnten; er ging hinein. Ich kann Dir das Gefühl nicht beschreiben, was ich hatte: jetzt war keine Rückkehr möglich; wir lachten immer noch, aber es vergingen mir immer so die Gedanken, daß ich ohnmächtig zu werden fürchtete. Der Kammerdiener kam: Es würde sehr angenehm sein[141] – und führte uns in eine Stube indeß. Es war eine fürchterliche Gluth darin; drei Stühle standen wie für uns hingesetzt an einem kleinen runden Tisch am Fenster; einer hatte ein schönes Schlafkissen, seinen Platz zu bezeichnen. An den Wänden hingen Handzeichnungen, unter dem Spiegel standen niedliche Arbeiten und mancherlei Spielzeug seiner Enkel, die viel bei ihm sind.

Nach ungefähr drei Minuten kam er. Wie viele sagen: es ist einem, als wenn man in den Boden geschlagen würde – so war es uns nicht, aber als er so ruhig und langsam hereintrat und so freundlich auf uns zukam, war es überaus ergreifend und ich mußte mich ungeheuer zusammennehmen, ihn anreden zu können.

Das Gespräch konnte sich natürlich nicht sehr aus den Gegenständen eines ersten Zusammenkommens herausbewegen, doch war die ganze, unbeschreiblich ruhig freundliche Weise, die er hatte, so rührend von dem großen Manne, so vertrauenerweckend, daß sich die frühere Angst ganz verlor. Er sprach: von seinem früheren öfteren Aufenthalt in Jena, wie jetzt all' die Beziehungen dort für ihn aufgehört hätten, als einen alten Mann, dem viele vorausgehen; von den Unruhen überall, insbesondere von Leipzig; flüchtig über englische und italienische Sprache und über unsere Vorliebe für eine derselben u.s.w. Wunderlich seltsam kam es mir vor, wie er fragte, wie es Frommanns ging, was Alwine machte und ob ich die junge Froriep [142] noch gekannt hätte. Es war mir wunderbar, daß er nach Bekannten, über Bekannte von mir fragte. Du [Elwine Härtel] kannst der Froriep, wenn Du sie siehst, sagen, daß er von ihr sagte: Es wäre eine hübsche Frau, ein liebenswürdiges, natürliches Kind.

Als ich aufstand, gab er uns beiden freundlich die Hand und sagte: Meine lieben Damen, ich habe mich sehr gefreut, daß Sie sich meiner hier erinnert haben. Er ging mit uns bis zur Thür und wir entzückt in den Gasthof zurück, denn ein Besuch bei der jungen Frau von Goethe, den wir, im Fall es uns verunglückte, machen wollten, damit sie ein Wort zu ihm noch sagen möchte, war ganz unnöthig und wir hatten mehr Lust, uns darüber auszusprechen, über das, was wir vollbracht.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1832. 1832, 10. März. Mit Pauline Hase und Laura Weiße. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A273-6