Zwischen 1812 und 1815.
Weihnachtsfeier bei Georg Wilhelm Lorsbach
In Deutschland herrscht die Sitte, daß am Weihnachtsabend die Eltern den Kindern einen mit Bändern, Kerzen, Obst geschmückten Baum bescheeren. Einst war auch Goethe am Weihnachtsabend zu dieser Familienfeier bei Professor Lorsbach geladen, welcher eine einzige, schon erwachsene Tochter hatte und für diese im Nebenzimmer einen solchen schönen Weihnachtsbaum mit Äpfeln und andern Geschenken vorbereitet hielt. In einem andern Zimmer wurde indessen musicirt, gesungen, Karten gespielt, mit Goethe gesprochen, aber dabei stahlen sich [338] zwei schelmische Kumpane durch eine andere Thüre in das verschlossene Nebenzimmer, beraubten den Baum aller seiner Äpfel und Nüsse, und kehrten, als wäre nichts geschehen, in die Gesellschaft zurück. Schlag 7 kam der Vater, die Tochter an seiner Seite führend, öffnete die Thür und lud die Gesellschaft zum Eintreten in jenes Zimmer mit dem Weihnachtsbaum ein. Wie stutzten und erstarrten alle, da der Baum kahl und leer mitten im Zimmer stand. Goethe blieb vor dem Baume mit auf der Brust verschränkten Händen sinnend stehen, und die ganze Gesellschaft wurde still und wartete, was Goethe dazu sagen würde. Der aber öffnete die Lippen und rief mit scherzhaft pathetischer Stimme:
Freudiges Händeklatschen, Lachen und Scherze ertönten allseits bei diesen witzigen Versen und verschönerten den ganzen Abend bis in die späte Nacht.
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