1816, Ende Juli oder Anfang August.


Mit Friedrich Krug von Nidda

Ein Meerfels von der Sonne beglänzt, von Zeit und Stürmen ungebrochen, erschien er [Goethe] eines Tages in unserer Versammlung [in Tennstädt], und die Würde und Sicherheit seiner Haltung, die milde Klarheit seines Blicks, die seine geistvolle Unterhaltung begleitete, ermuthigten mich, ihm nahe zu treten, um die Vergünstigung zu erlangen, ihn auch in seinem Hause zu sehen. Er empfing mich galant, als ich ihm bald darauf meine Aufwartung machte, und leitete das Gespräch mit den Worten ein, daß es ihm lieb sei, mich kennen zu lernen – eine Phrase, die vielleicht mehr als dieses war, da meine Erschöpfung ihn unwillkürlich weich gestimmt... haben mochte .... Er rühmte die wohlthuende Stille des Badeorts wie den Gehalt seiner Quelle, kam von den physischen auf die geistigen Eigenthümlichkeiten des Lebens, wo dann die Unterhaltung vom Kreisamtmann Just, dem Brunnenarzt [Schmidt] und andern Ausgezeichneten zuletzt auch auf Novalis überging, der einst, um sich als praktischer Jurist zu bilden, bei hiesigem Justizamt hospitirte und währenddem das schöne Verhältniß mit Fräulein Sophie v. Kühn schürzte .... – Auf meine Frage: mit welcher poetischen Darstellung er während seiner Badecur sich zu beschäftigen gedenke, nannte er mir die Zusammenstellung seiner Werke, die [265] bald darauf auch in zwanzig Bänden bei Cotta erschien; und als ich ihm zu soviel Trefflichem Glück gewünscht, womit er den deutschen Parnaß bereits beschenkt, versetzte er mit Bescheidenheit des ersten Verdienstes: »Man ehrt mich zu hoch! Ich habe mit meiner Zeit gelebt und verkehrt, und einer hat sich an dem andern erhoben. Den Vorderen sind wir auf die Schultern gestiegen, sahen hierdurch vielleicht etwas weiter, als sie, und so gestaltete sich manche neue Erscheinung.« – Jetzt fiel ihm auch ein, meine Namenschiffre schon unter poetischen Versuchen gesehen und einiges nicht ohne Antheil gelesen zu haben; ja, als ich ihm meine Liebe zur Kunst gestand und meine damals neueste Arbeit (Florian's »Gonsalvo von Cordova« in deutsche Octaven umzubilden) nannte, ließ er sich meine Kühnheit gern gefallen, ihm einen Probegesang zur Durchsicht mitzutheilen, verheißend, mir sein Endurtheil auf keinen Fall verhehlen zu wollen. Nach angehender Dichte Art, ihr Liebstes stets am Herzen zu tragen, überreichte ich ihm auch sofort mein Gedicht, empfahl mich jedoch schon den nächsten Moment, nachdem mir noch die Erlaubniß zu theil geworden war, bald ungemeldet wiederzukommen, eine Vergünstigung, die ich späterhin mit wahrem poetischen Heißhunger nützte.

Ein ungemein artiger Gegenbesuch, der mich nach wenigen Tagen beglückte – wie Goethe überhaupt, weit minder förmlich, als in Weimar, fast jedem Gebildeten [266] diese Ehre erwies – gab mir noch mehr Gelegenheit, als bei der ersten Unterredung, den Dichterfürsten vom Weltmanne zu trennen, und als er mit nur zu schonendem Urtheil über meine Stanzen zuletzt mit der erhebenden Äußerung schloß: »Sie haben Octaven darunter, um die man Sie beneiden könnte« – war meiner Idee zufolge mein Glück gemacht, und rasch entschied ich mich ihm meine Arbeit zuzueignen, was einige Monate später auch geschah und mir einen schriftlichen Dank des Gefeierten einbrachte .....

Es würde mir leicht sein, aus meinem späteren Zusammensein mit Goethe noch manches Ansprechende auszuheben, wozu theils Erinnerungen seiner italienischen Reisen, Streiflichter seines geologischen und naturhistorischen Wissens und Ansichten über die Literargeschichte des Tages mehr als genügenden Vorwurf boten, sowie nicht minder manch Beherzigenswerthes über den weisen Gebrauch der Trope, zumal in der Stanzenform, mir Stoff zu weiterem Nachdenken lieh; doch um mich kurz zu fassen, sei nur das Resultat seines Wohlwollens in den einfachen Scheidegruß gefaßt, mich fernerhin den Musen zu widmen, die mich gewiß nicht verstoßen würden, sofern ich mich Ihnen ganz hingeben wolle.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1816. 1816, Ende Juli oder Anfang August. Mit Friedrich Krug von Nidda. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A30F-2