1771, Mai 14.


Mit Johann Heinrich Jung

[Jung hatte am 14. Mai in Straßburg einen Brief mit der Nachricht von gefährlicher Erkrankung seiner Braut erhalten und erzählt dann:]


Stilling stürzte wie ein Rasender von einer Wand an die andere; er weinte nicht, seufzte nicht, sondern sah aus wie einer, der an seiner Seligkeit zweifelt. Er besann sich endlich soviel, daß er seinen Schlafrock auswarf, seine Kleider anzog und mit dem Brief zu Herrn Goethe hintaumelte. Sobald er in sein Zimmer hineintrat, rief er mit Seelenzagen: »Ich bin verloren! Da lies den Brief!« Goethe las, fuhr auf, sah ihn mit nassen Augen an und sagte: »Du armer Stilling!« Nun ging er mit ihm zurück nach seinem Zimmer. Es fand sich noch ein wahrer Freund, dem Stilling sein Unglück klagte; dieser ging auch mit. Goethe und dieser Freund packten ihm das Nöthige in sein Felleisen, ein anderer suchte Gelegenheit für ihn, wodurch er weg reisen könnte. Und diese fand sich; denn es lag ein Schiffer auf der Preusch parat, der den Mittag nach Mainz abfuhr .... Nachdem nun Goethe das Felleisen bereit hatte, so lief er [17] und besorgte Proviant für seinen Freund, trug ihm den ins Schiff. Stilling ging reisefertig mit. Hier letzten sich beide mit Thränen.

[18]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1771. 1771, Mai 14. Mit Johann Heinrich Jung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A331-1