1832, 10. März.


Mit Clemens Wenzeslaus Coudray

Den 10. März ward mir zum letzten Mal die Freude, einige Abendstunden mit Goethe in traulicher Unterhaltung zu verleben, wie dieses seit vielen Jahren wöchentlich ein- auch zweimal zu geschehen pflegte. Bei diesen Besuchen hatte er gewöhnlich die Güte, die aus dem Gebiete der Kunst und Technik eingegangenen Novitäten mir zur Ansicht mitzutheilen, und bot sich somit nicht selten Stoff zu einer höchst interessanten und [143] für mich belehrenden Unterhaltung dar; oder er ließ sich auch gerne von meiner Geschäftsthätigkeit erzählen, wo er dann an jedem Unternehmen von einiger Wichtigkeit lebhaften Antheil nahm. Bei Durchsicht der Risse, die man ihm von allen unseren größeren Bauten zu zeigen pflegte, forschte er jedesmal zunächst nach dem vorliegenden Zweck, und dann ließ er sich erklären, wie wir solchen mit den vorhandenen Mitteln zu erreichen gesucht. Diese seine rege Theilnahme erstreckte sich aber nicht allein auf die Werke der schönen Baukunst, nein, alles Gemeinnützige umfaßte er mit gleicher Wärme, daher denn auch unsere neuen Chausseeanlagen ihn sehr interessirten. Noch neuerlich ließ er sich die Risse der dermalen in Bau begriffenen Kunststraße von Weimar über Blankenhain nach Rudolstadt mittheilen, und versprach er, nächstens von dem ihm lieben Orte aus unsern Bureauplatz ohnweit Blankenhain zu besuchen, wo mit Beseitigung großer Localschwierigkeiten im eigentlichen Sinne des Wortes ein Kunststraßenbau ausgeführt und zur Verbindung ganzer Anhöhen in einer Länge von 300 Fuß ein in der Mitte 36 Fuß hoher Erddamm aufgetrieben wird.

Seinem Verlangen gemäß hatte ich an diesem Abend einen kleinen Kegel von Holz mitgebracht, der sich zerlegen läßt so, daß die durch die 5 Schnitte entstehenden Figuren – das Dreieck, der Zirkel, die Ellipse, die Parabel und Hyperbel – anschaulich werden. Ich mußte ihm erklären, wie diese Curven mittels Proportionen [144] in Grund- und Aufrissen dargestellt werden, wobei er bemerkte, daß er sich in früherer Zeit zwar nicht viel mit Mathematik, jedoch mit der Reißkunst gerne beschäftigt habe. Besondere Theilnahme schenkte er daher auch den ohnlängst ausgestellten Arbeiten der Zöglinge in unserer Gewerkschule und erfreute mich mit Zusendung eines ansehnlichen Geschenkes im Namen der Frau Großherzogin Kaiserlichen Hoheit zum Ankauf von Vorbildern, Reißzeugen und Zeichenmaterialien als Prämien für die verdientesten Schüler.

Nach dem vorgedachten Modell meines Kegels verlangte Goethe, daß ich ihm einen ähnlichen verfertigen lassen möchte, jedoch sollte dessen Basis das Doppelte seiner Höhe erhalten, sodaß er nicht in einen spitzen, sondern in einen rechten Winkel auslaufe, wobei er äußerte, daß er diesen Kegel so für seine Zwecke brauche.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1832. 1832, 10. März. Mit Clemens Wenzeslaus Coudray. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A337-6