1802, 29. Mai.
Bei Aufführung von F. Schlegels »Alarcos«
Je näher der zur Aufführung des »Alarcos« anberaumte Tag herankam, desto lebhafter ward die Neugierde, das vielbesprochene und bekrittelte Stück zu sehen, und als es endlich erschien, strömte die halbe Bevölkerung von Weimar zum Theater. ...
Trotz so vieler Jahre, die seit jenem Tage über meinem Haupte hingezogen sind, sehe ich [Freifrau v. Beaulieu] doch noch jetzt in dem ungetrübten Spiegel der Erinnerung ebenso deutlich wie damals in der Wirklichkeit das überfüllte Schauspielhaus vor mir – mitten im Parterre Goethe, ernst und feierlich auf seinem hohen Armstuhle thronend. ...
Im Anfange der Vorstellung verhielten sich die Zuschauer völlig passiv; je weiter aber das Stück vorwärts schritt, desto unruhiger ward es auf der Gallerie und im Parterre. .... In der Scene, wo gemeldet wird, daß der alte König, den die auf seinen Befehl ermordete Gattin des Alarcos vor Gottes Richterstuhl citirte, »aus Furcht zu sterben, endlich gar gestorben« sei, da brach die Menge in ein tobendes Gelächter aus, sodaß das ganze Haus davon erbebte. ...
Aber nur einen Moment. Im Nu sprang Goethe auf, rief mit donnernder Stimme und drohender Bewegung: [234] »Stille! Stille!« 1 und das wirkte wie eine Zauberformel ... Augenblicklich legte sich der Tumult, und der unselige »Alarcos« ging ohne weitere Störung, aber auch ohne das geringste Zeichen des Beifalls zu Ende.
1 Nach »Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers« hätte Goethe gerufen: »Man lache nicht!« Zwar ist dies dort von der Aufführung des »Jon« erzählt, aber in zweifelloser Verwechselung mit »Alarcos«, wie auch im folgenden Stück 191.