Um 1820.
Mit Wilhelm Naumann u.a.
Von Schulpforta aus, wo er damals mit seinem Zögling [Graf Hohenthal] weilte, begab er sich auf[364] einen Ausflug nach Weimar in Begleitung eines Lehrers der Fürstenschule. Der dortige Professor, nachherige Rector Lange gab Naumann bei der Abreise eine Übersetzung der ›Iphigenie‹ in's Griechische von Ernst Ortlepp in der Absicht, dadurch einen schicklichen Anlaß zu einem Besuch bei Goethe zu bieten, dem er diese Arbeit überreichen sollte. Naumann wollte davon nichts wissen, da er gehört, Goethe behandle die Besuchenden oft unfreundlich und er sich zu sehr fühlte, um solcher Behandlung sich auszusetzen; Lange redete jedoch zu, die Übersetzung wenigstens mitzunehmen, da er doch vielleicht wünschen könne, Goethen aufwarten zu wollen. In Weimar besuchte er den Hofrath Riemer, dem er die Handschrift mit der Bitte zustellte, sie Goethe zu überreichen, und als dieser frug, warum er das nicht selbst thun wolle, gestand ihm Naumann seine Befürchtungen. Riemer sah nach seiner Uhr und sagte: ›In diesem Augenblick muß Goethe nach Hause kommen; ich verlange, daß Sie gleich zu ihm gehen, damit auch Sie von dem Vorurtheil befreit werden, welches Sie mit so manchem theilen.‹
Dieser dringenden Mahnung gehorchte nun Naumann, dem es nur unangenehm war, daß sich ihm bei dem Gange zu Goethe sein Reisebegleiter anschloß; denn als junger lebhafter Mensch hoffte er günstigere Aufnahme zu finden, als er sie jenem versprach, der ein trockner ungefüger Schulfuchs war. Beide ließen sich also bei Goethe melden, wurden angenommen und in's [365] Empfangszimmer geführt; Goethe erschien bald, trat an Naumann heran, legte seine Hände auf dessen Schulter und sprach: »Bitte, Ihren Namen!« Als dieser sich genannt, richtete er die gleiche Frage an Naumann's Begleiter, worauf er diesem, als dem älteren, den Platz neben sich auf dem Sofa anwies. Als dieser ungeschickterweise Umstände machte und sich einen Stuhl nahm, sagte Goethe zu Naumann: »Nun, einer muß sich zu mir setzen! Da kommen Sie her!« Indessen war auch dieser von dem andern angesteckt, verbat sich die Ehre gleichfalls und setzte sich ebenso auf einen Stuhl.
Waren schon diese Umständlichkeiten nicht nach Goethes Sinn, so verstimmte es ihn augenscheinlich noch mehr, als Naumann's Begleiter die Beine übereinanderschlug und das Gespräch mit der Plattheit begann: »Ew. Excellenz haben uns wieder mit einem neuen Heft ›Kunst und Alterthum‹ beschenkt.« Goethe murmelte zur Erwiederung etwas; da besann sich der Schulmann, eine Empfehlung vom Zeichenmeister Oldendorp auszurichten, worauf Goethe äußert: »Er beweist mir immer zu meinem Geburtstag seine Anhänglichkeit.«
Endlich langte Naumann Ortlepp's ›Iphigenie‹ hervor und übergab sie mit dem Bemerken, daß Goethe diese Übersetzung jetzt um so anziehender finden werde, als er sie mit der neugriechischen Iphigenie von Papadopulos vergleichen könne. Goethe blätterte in der Handschrift [366] und warf hin: »Ja, mit Fleiß und gutem Willen kann man vieles machen.« – Naumann nahm sich hierauf der Übersetzung an, sagte, daß wirkliche Kenntniß der Antike und Geist darin ausgeprägt sei, und bat, derselben einige Beachtung zu schenken. Vorderhand ging jedoch Goethe nicht weiter darauf ein, und da das Gespräch stockte, Naumann's Begleiter aber keine Anstalt zum Aufbruch machte, so erhob ersterer endlich selbst und Goethe war beim Abschied noch so liebenswürdig, daß Naumann durchaus nicht Ursache hatte, den Besuch zu bereuen.
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