1820, Ende November und Anfang December.
Mit Johann Gottlob von Quandt
Bei der Rückkehr von meiner zweiten Reise nach Italien mit meiner Frau.. erforderte es Anstandspflicht und Drang des Herzens, Goethe zu besuchen, und meine Frau ward durch Frau Hofräthin Schopenhauer bei Frau Geheimer Kammerräthin v. Goethe geb. Freiin v. Pogwisch eingeführt, die durch ihren lebhaften Geist und Liebe zu ihrem Schwiegervater geeignet war, sein Alter zu erheitern .....
Während der kurzen Zeit unseres Aufenthaltes in Weimar hatten wir täglich Gelegenheit, Goethe zu sehen. – Rauch war unlängst dagewesen, um Goethe zu modelliren und die soeben erst beendete Arbeit stand noch in Goethes Hause auf dem Stativ, umgeformt zu werden. Ich sprach den Wunsch aus, das Modell [72] zu sehn, und Goethe beschied mich den andern Morgen zu sich. Mit ihm sein eigenes Bildniß von der Hand eines solchen Künstlers zu betrachten, gehört zu den bedeutendsten Momenten meines Lebens.
Goethe bediente sich des scherzhaften Ausdrucks, daß ihm die Natur einen Nickfang gegeben, wodurch die rechte Seite des Stirnbeins etwas eingedrückt war und das rechte Auge tiefer, als das linke stand. Aus dieser Anomalie construirte er die Bildung seines Gesichtes und sprach als Physiolog, als Künstler, als Poet, als ein universeller Geist. Noch insbesondere belehrend war, was Goethe darüber sagte, wie der Künstler sich an die Wirklichkeit zu halten habe und diese nicht absichtlich ändern dürfe, zumal bei Bildnissen. Diese Asymmetrie am Schädel eines so geistvollen Mannes kann uns keinen Zweifel daran einflößen, daß das Gehirn die Werkstätte der Seele ist; denn es war eine äußere, wahrscheinlich bei der Geburt entstandene Ungleichheit, und der Natur fehlt es bei den, ihr zu Gebote stehenden unberechenbaren Möglichkeiten nicht an Compensationen, wodurch die Wirkungen von Bildungsstörungen aufgehoben werden, wenn sie ihre Zwecke durchsetzen will. Ohne Zweifel hatten sich die Hemisphären intensiv und quantitativ einander gleich ausgebildet, sodaß die Verschiedenheit wohl bloß in einer höheren und tieferen Lage der beiden Theile des großen Gehirns bestand und die Unebenmäßigkeit nur die Schädelform betraf. – Was ich hier gesagt habe, [73] sprach Goethe auf seine unnachahmliche Weise mit wenigen gehaltvollen Worten aus, sodaß ich, solche nicht genau aufgezeichnet zu haben, überaus bedauern muß.
Um diese Eigenheit in der Schädelbildung zu verbergen, hat Rauch den Kopf der Büste gewendet, obwohl diese Bewegung nicht in Goethes Art lag, der jedem angesichts in's Angesicht schaute ..... Rauch hatte diese Arbeit aus eigenem Antriebe unternommen, und ich bat Goethe um die Erlaubniß, bei dem Meister nach dem Modelle sein Bildniß für mich in Marmor bestellen zu dürfen, was er sehr gern bewilligte, und so habe ich das Glück, die Originalbüste zu besitzen, welche nachmals gewiß tausendfach in allen Arten von Material vervielfältigt worden ist.
Goethe hatte sich vorgenommen, uns eine Aufmerksamkeit zu erweisen und eine zahlreiche Gesellschaft einzuladen, was unsere Freunde ihm auszureden suchten, wovon er sich aber nicht abbringen ließ. Wie vorauszusehn, war diese Ehre kein Vergnügen; denn Unterhaltung findet doch nur dann statt, wenn ein Gegenstand des Gesprächs alle gleich sehr interessirt, was beigemischten Gesellschaften nicht möglich ist. Die Damen, welche um den Theetisch der Frau Geheimen Kammerräthin v. Goethe einen Kranz bildeten, hatten das beste Loos, und die Herren standen einzeln oder paarweise im Salon umher. Goethe selbst schien eine Unbefriedigung bei dieser Art von Unterhaltung [74] zu fühlen, und ich kann versichern, daß er einige Male tief Athem holte, was einem Stöhnen sehr ähnlich war, und nach solchen Zuständen ist Goethe sehr oft und sehr falsch von Touristen beurtheilt worden, welche ich mit Bettlern vergleichen möchte, die von Haus zu Haus gehen und wie diese ein Almosen, so einen geistreichen Einfall davonzutragen hoffen. Goethe war ein großer Geist, aber kein Bonmots sprudelndes Witzkoboldchen. Die Kraft seines Genies glich den Strömungen des Galvanismus, aber nicht der Electricität, die sich in Blitzen und Schlägen entladet, und so ist wohl selten ein Mann von großem Gehalt zugleich homme de salon, unerachtet Goethes Stil, zumal in »Wilhelm Meister« und in den »Wahlverwandtschaften«, den Ton der guten Gesellschaft sehr richtig trifft.
Auch ich mochte ein ermüdetes Ansehen bekommen haben und Goethe sagte daher zu mir, daß er glaube, die Betrachtung seiner Medaillensammlung werde mich erfreuen. In Begleitung des Hofrath Meyer ging ich, von Goethe dahingeführt, in das an den Salon grenzende Cabinet, in welches er selbst von Zeit zu Zeit zurückkehrte, da er sich der Gesellschaft nicht völlig entziehen konnte. Und so verstoß auch dieser Abend sehr genußreich und belehrend für mich.
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