1792, Ende August (?).


Im Feldzug beim Herzog Carl August

Ich [e. preuß. Artillerieoffizier] hatte schon vorher gehört, daß dieser Goethe ein sehr berühmter Schriftsteller sein solle ..... Als man mir zuerst sagte, daß ich jetzt häufig mit diesem Herrn zusammensein und ein gleiches Quartier theilen müsse, da ich ja auch zur Suite des Herzogs von Sachsen-Weimar befohlen war, so empfand ich anfänglich einige Abneigung .... Ich hatte mir diese Herren Poeten bisher immer nur als so eine Art äußerlich und sittlich verkommener Menschen gedacht ..... wie überrascht war ich nun aber, als [251] ich diesen Herrn Goethe persönlich zuerst kennen lernte: es war ein ungemein stattlicher, ansehnlicher, aus das Eleganteste angekleidter Mann in den besten Jahren, der mit einem so vornehmen Wesen auftrat, daß man ihn wirklich eher für einen Prinzen, als für einen bürgerlichen Secretarius hätte halten können. Er hatte etwas sehr Selbstbewußtes in seinem ganzen Benehmen, und die Worte flossen dabei so schön und gewandt von seinem Munde, daß es immer auf den Zuhörer den Eindruck machte, als höre er aus einem gedruckten Buche vorlesen ..... So hörte er sich auch zu gern selbst sprechen und hielt wohl mitunter auch Reden, die zwar sehr schön klangen, aber ihrem eigentlichen Inhalte nach doch nur leer waren, über Dinge, die er unmöglich verstehen konnte. Ich entsinne mich noch, daß er einst an der Tafel des Herzogs von Weimar einen langen Vortrag über die Artilleriewissenschaft und besonders auch über die zweckmäßigste Anlage von Batterien hielt und selbst uns Artillerie-offiziere darüber belehren wollte. So etwas konnte mich denn doch wohl mit Recht verdrießen, und ich sagte: ›Nehmen Sie es, verehrtester Herr Legationsrath‹, – denn diesen Titel führte er dazumal [!] – ›nicht übel, wenn ich Ihnen mit pommerscher Gradheit zu antworten mir erlaube, daß bei uns ein altes Sprüchwort heißt: Schuster bleib bei Deinen Leisten. Wenn Sie über das Theater und die Dichtung und noch über viele andere gelehrte oder Kunstsachen reden, [252] so hören wir alle Ihnen mit dem größten Vergnügen zu; denn dies verstehen Sie aus dem Grunde, und man kann viel von Ihnen dabei lernen. Etwas anderes aber ist es, wenn Sie über das Artilleriewesen sprechen und nun gar uns Offiziere darüber belehren wollen; denn – nehmen Sie es nicht übel! – davon verstehen Sie auch nicht das Mindeste. Ihre Ansichten über die Verwendung der Geschütze waren vollständig falsch, und wenn ein Offizier nach Ihrer Anleitung eine Batterie errichten wollte, so wäre solche gar nicht zu gebrauchen und er würde entschieden damit ausgelacht werden.‹ So sprach ich freimüthig und ohne Scheu, und es herrschte anfänglich bei meiner Rede ein gewisses beängstigtes Schweigen unter den meisten Anwesenden, und mehrere sahen mich sogar ganz entsetzt an, daß ich einem so berühmten Manne, wie Goethe damals schon war, so rücksichtslos meine Meinung gesagt hatte. Goethe selbst ward bei meinen Worten anfänglich ganz roth im Gesicht, ich weiß nicht, ob aus Zorn oder aus Verlegenheit, und seine schönen funkelnden Augen blickten mich starr an; bald aber gewann er seine volle Geistesgegenwart wieder und sagte lachend: »Ja, Ihr Herren Pommern seid doch recht freimüthige oder wohl gar grobe Männer, das habe ich soeben an mir selbst nur zu sehr erfahren. Aber darum keine Feindschaft, Herr Lieutenant! Sie haben mir soeben eine derbe Lection gegeben, und ich werde mich hüten in Ihrer Gegenwart wieder über das Artilleriewesen zu sprechen und [253] den Herren Offizieren in ihr Fach zu pfuschen.« Dabei schüttelte er mir recht herzlich die Hand, und wir blieben nach wie vor die besten Freunde, ja, es wollte mir sogar scheinen, als ob Goethe meinen Umgang jetzt noch mehr aufsuchte, als dies früher der Fall gewesen war.

[254]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1792. 1792, Ende August (?). Im Feldzug beim Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A583-8