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Wir fuhren.. hin [zum Mittagessen bei Goethe] und wurden unten an der Treppe von dem Sohn empfangen; im Vorsaal kam er selbst uns entgegen, doch treuer dem Bilde, was ich [Clara Kestner] durch Dich [August Kestner] von ihm hatte, als dem, was uns der gute Onkel [geheime Kammerrath Ridel] gab; denn Rührung kam nicht in sein Herz. Seine ersten Worte waren, als ob er Mutter [Charlotte Kestner] noch gestern gesehen: »Es ist doch artig von Ihnen, daß Sie es mich nicht entgelten lassen, daß ich nicht zuerst zu Ihnen kam.« Er hatte nämlich etwas Gicht im Arm. Dann sagte er: »Sie sind eine recht reisende Frau« und dergleichen gewöhnliche Dinge mehr. Mutter stellte mich ihm vor, worauf er mich einiges fragte unsre Reise betreffend und ob ich noch nie in dieser[80] Gegend gewesen sei, welches ich doch ganz unerschrocken beantwortete. Darauf gingen wir zu Tisch, wohin er Mutter führte und auch natürlich bei ihr saß, ihm gegenüber der Onkel und ich daneben, sodaß ich ihm ganz nahe war, und mir kein Wort und kein Blick von ihm entging. Leider aber waren alle Gespräche, die er führte, so gewöhnlich, so oberflächlich, daß es eine Anmaßung für mich sein würde zu sagen, ich hörte ihn sprechen, oder ich sprach ihn; denn aus seinem Innern, oder auch nur aus seinem Geiste kam nichts von dem, was er sagte. Beständig höflich war sein Betragen gegen Mutter und gegen uns alle, wie das eines Kammerherrn ..... Nach Tisch fragte ich nach einer sehr schönen Zeichnung, die immer meine Augen auf sich zog; er ließ sie mir herunternehmen und erzählte mir sehr artig die Geschichte davon. Sie war von einer Dame Julien Egloffstein; ihrer gedachte er mit großer Auszeichnung und besonders ihres Talents. Darauf ließ er eine Mappe holen und zeigte Mutter ihr, des seligen Vaters und Eurer fünf Ältesten Schattenrisse auf einem Blatt. Du siehst aus allem diesen: er wollte verbindlich sein, doch alles hatte eine so wunderbare Teinture von höfischem Wesen, so gar nichts Herzliches, daß es doch mein Innerstes oft beleidigte. Seine Zimmer sind düster und unwöhnlich eingerichtet: hier und da stehen Vasen, und die Wände sind mit Zeichnungen decorirt, worunter jedoch meiner Ansicht nach außer der genannten nichts Ausgezeichnetes [81] war ..... Nachdem wir nun alles gesehen, fuhren wir nach Haus. Er entschuldigte sich, daß er nicht ausgehen könne, indem er auch bei Hof abgesagt habe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1816. 1816, 25. September.: Mit Charlotte Kestner, geb. Buff,und deren Verwandten. a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A614-B