1822, 25. Juli.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Goethe fuhr allein zur Eiche, weil ich nach Oberlohma verreisen mußte, und erst gegen Abend zurückkommen konnte.

Bei meinem Eintritte sagte Goethe: »Ich habe die wundersame Eiche besichtigt, und ich wünschte, daß sie bis zur Ankunft des Grafen Sternberg unberührt liegen bliebe; denn ich bin mit mir selbst noch nicht einig. Hier haben Sie einen an Sie gerichteten Brief vom Grafen; er will den 30. kommen.«

Graf Sternberg avisirte mich, daß auch Dr. Pohl der Brasilianer und der berühmte Chemiker Berzelius bei Goethe ihre Aufwartung machen würden. Goethe sah sehr gut aus, war heiter, weßwegen ich sagte, Marienbad habe ihm vortrefflich angeschlagen. Er aber erwiederte:

»Ich befinde mich sehr wohl; es mag sein, daß, obschon man 2000 Fuß 1 über der Meeresfläche reinere Luft einathmet, doch die fortdauernde Bewegung und die Reise mich in diesen Zustand versetzt haben. So gut ich dort die Anstalt getroffen habe, so dürfte den noch die Verordnung, welche fremden Ärzten in Badeörtern die Praxis untersagt, einen nachtheiligen Einfluß auf die böhmischen Bäder nehmen; denn der Kranke [161] schließt sich so gern an seinen Arzt an. Dr ..... [Struve?] in... [Dresden?] hatte alle Jahre gegen 1000 Stück Dukaten von Karlsbad weggeführt, und nun kurirt er mit künstlich erzeugten Mineralwässern. Die Natur hat uns Winke gegeben, diese müsse man befolgen, und die noch abgängigen Bestandtheile bei den Mineralwässern durch Kunst ergänzen. Es wird sich auch diese Ansicht wieder ändern, eben so wie man davon zurückkommen wird, daß man die Aufschriften bei den neuen Häusern mit lateinischen oder gothischen Buchstaben schreiben läßt, z.B. ›Zum weißen Schwan‹, ›Zum goldenen Lamm‹ u.s.w.: Denn es wird bald ein Hauseigenthümer von einem Künstler sich einen schönen Schwan, wie er aus gutgemachtem Schilf hervorkommt, als Aushängeschild malen lassen, und dies wird wieder Nachahmung finden; schlecht gemalte läßt man ohnedies nicht aushängen, und gut gemalte geben den Kutschern und Fremden schon von weitem einen Anhaltepunkt. Um mein Gedächtniß zu prüfen, bin ich ganz Karlsbad auf- und abgegangen, und es freut mich alle Aushängeschilder der Reihe nach recitiren zu können.«


Note:

1 Selbstverständlich nicht Klafter.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1822. 1822, 25. Juli. Mit Joseph Sebastian Grüner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6FB-5