1815, 17. September.


Bei von Willemers

Sonntag den 18. 1 zahlreicher Mittagstisch im großen Saal. Goethe erzählt von der schönen Müllerstochter in der Nonnenmühle bei Wiesbaden, mit der ihn Frau Pansa bekannt gemacht hat, als ein Gegenstück zu seiner Dorothea. Reinlichkeit, Wohlhabenheit, Schönheit, Derbheit. Sie spielt Klavier, die Brüder sind zugleich Fuhrleute, eine alte Mutter steht dem Haus vor. Eine alte Muhme ist der Apotheker aus »Hermann und Dorothea« und recht gut. Sie hat noch eine Zahl kleiner Geschwister. Nachmittags kömmt Herr Mieg, früherer Hofmeister der Familie. Goethe hatte eine Apprehension, schon als der Mann herein [235] trat, und ihm als ein Freund des Hauses angekündigt wird. Abends Gesang. Marianne singt wieder »der Gott und die Bajadere«. Goethe wollte dies anfangs nicht; es bezog sich dieses auf ein Gespräch, das ich kurz vorher mit ihm geführt, daß es fast ihre eigene Geschichte sei, so daß er wünschte, sie sollte es nimmer singen. Nachher singt sie hübsche Volkslieder; dann aus »Don Juan«: »Gieb mir die Hand mein Leben«, als Arie. Goethe nennt sie einen kleinen Don Juan; wirklich war ihr Gesang so verführerisch gewesen, daß wir alle in lautes Lachen ausbrachen und sie, den Kopf in die Noten versteckt, sich nicht erholen konnte.

Die lustige Stimmung setzte sich auch beim Abendessen fort, die Frauen brachten allerlei Späße vor, wozu die Gegenwart des Herrn Mieg Anlaß gab; es waren meist Erinnerungen ihrer italienischen Reise. Dann wurde, weil wir auf der Mühle waren, viel Scherz getrieben mit der Anspielung auf die Müllerin, und auf den Müllersknecht: an dem ist nichts zu verderben. Man bat Goethe wegen Herrn Mieg darum, noch etwas zu lesen, und die kleine Müllerin schmückte sich mit ihrem Turban und einem türkischen Shawl, den Goethe ihr geschenkt hatte. Es wurde viel gelesen, auch viele Liebesgedichte an Jussuph und Suleika. Der Todtentanz wurde gesagt und anderes. Willemer schlief ein und wurde darum gefoppt. Wir blieben deßhalb desto länger zusammen, bis ein Uhr. Es war eine schöne Mondscheinnacht. Goethe will mich in seinem Zimmer [236] noch bei sich behalten; wir schwatzen, dann fällt ihm ein, mir den Versuch mit den farbigen Schatten zu zeigen, wir treten mit einem Wachslicht auf den Balkon und werden am Fenster durch die kleine Frau belauscht.


Note:

1 Irrig.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1815. 1815, 17. September. Bei von Willemers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A771-D